Weißer Mond von Barbados
er nie wieder davon hören würde.
Das war ein Irrtum gewesen. Der Befehl aus London ließ erkennen, daß es sich bei dem Überläufer um einen Mann von größter Wichtigkeit handelte. Um so unangenehmer, so sah es der Botschafter. Für ihn war alles, was mit Spionage und Agenten zusammenhing, eine widerwärtige Sache, höchstens zu tolerieren in Kriegszeiten. Und die Loders dieser Welt waren ihm von Herzen unsympathisch. Er ließ also Stephenson rufen, den er ganz besonders schätzte, sowohl als Diplomat wie auch als Mensch. Überdies mochte er Mrs. Stephenson auch, sie war eine Frau von Haltung und Charme, in den Augen des Botschafters eine Frau, die ihre Rolle mit Perfektion spielte und es überdies immer verstanden hatte, mit seiner Frau, der Botschafterin, gut auszukommen. Dazu kam, daß der Botschafter beabsichtigte, ein verlängertes Wochenende in Kalifornien zu verbringen, schon darum also mußte Fergus Stephenson, Gesandter und Kanzler dieser Botschaft, in die Vorgänge eingeweiht werden, da er vermutlich während der Abwesenheit des Botschafters Loder zur Verfügung stehen mußte.
»Ich kann gar nicht sagen, wie zuwider mir so eine Sache ist«, sagte der Botschafter. »Genau genommen sollte ich formell protestieren. Was geht uns der Geheimdienst an? Sie haben kein Recht dazu, uns in ihre schmutzigen Geschäfte hineinzuziehen. Natürlich wird herauskommen, daß die Botschaft von dem Unternehmen wußte, man könnte annehmen, ich hätte damit zu tun. Ich werde protestieren. Obwohl es natürlich nichts nützt.«
»Dieses Telegramm hat einen reichlich übertriebenen Ton«, bemerkte Fergus. »Dieser Russe muß wirklich eine wichtige Persönlichkeit sein. Wenigstens könnten sie so höflich sein, uns wissen zu lassen, wer es ist. Das ist es, was ich vor allem zu beanstanden habe – man wird zur Mitarbeit und Hilfe aufgefordert, und zwar sehr weitgehend, und trotzdem vertraut man uns offensichtlich nicht.«
»Ich will gar nicht wissen, wer es ist«, sagte der Botschafter. »Als Dick Paterson mir neulich davon erzählte, habe ich ihn sowieso gleich weggeschickt und ihm gesagt, daß uns das nichts angehe. Überläufer und Spione und Doppelagenten sind kein Umgang für uns. Paterson war ziemlich erregt über diese Sache. Offenbar hat er sich eingebildet, es würde ihm als Verdienst angerechnet, wenn er mit so was ankommt. Ich sagte ihm, daß sei Loders Angelegenheit.«
Bei diesen Worten des Botschafters lüftete sich für Stephenson der Schleier. Als seine Frau ihm von dem Gespräch mit Rachel Paterson erzählt hatte, war er zwar schockiert und erschreckt gewesen, aber er hatte das Ganze nicht zu Ende gedacht. Dabei hätte er gleich die Zusammenhänge erkennen müssen. Der Anruf aus New York, die Freundin von Paterson – natürlich, er hatte ja Paterson selbst davor gewarnt, weiter mit dieser Frau Beziehungen zu haben, da sie als sicherheitsgefährdend angesehen wurde. Sie hatte Umgang mit einem Russen, von dem man annahm, daß er sie anwerben wollte. Loder hatte ihm bei einem früheren Mittagessen den Namen des Russen genannt. – Es war Sverdlov. Feodor Sverdlov.
Vor Stephensons Augen verschwamm das Gesicht seines Chefs. Sein ganzer Körper bedeckte sich mit kaltem Schweiß. Sverdlov, von dem man annahm, daß er das geheime Oberhaupt des russischen Geheimdienstes sei, das wichtigste Mitglied der Sowjet-Botschaft. – Der Mann, der als erster die Papiere von ›Blau‹ in die Hand bekam.
Stephenson war wie gelähmt. Er wußte nicht, wie er aufstehen, wie er dieses Zimmer verlassen sollte.
Der Botschafter bemerkte davon nichts. Er redete weiter, erging sich noch eine Weile in Missfallensäußerungen zu diesem ganzen Fall, und Stephenson gelang es, sich ein wenig zu sammeln, eine Antwort zu formulieren.
Schließlich sagte der Botschafter: »Na schön, mein Lieber, ich muß diesen ganzen Schlamassel Ihnen überlassen. Ich bin übers Wochenende bei den Vanderholdens eingeladen. Geben Sie diesem Loder in Gottes Namen, was er haben will, aber sehen Sie zu, daß die Botschaft möglichst aus der Affäre herausgehalten wird.«
»Natürlich«, hörte Fergus sich sagen. »Selbstverständlich. Sie können unbesorgt sein.«
Mit steifen Beinen verließ er das Büro des Botschafters. Auf dem Weg zurück zu seinem Büro, schlüpfte er in einen Waschraum, ließ kaltes Wasser über seine Hände laufen und trocknete sein schweißnasses Gesicht, das ihm fahl aus dem Spiegel entgegenstarrte.
Sverdlov! Kein Wunder, daß
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