Weißer Mond von Barbados
Aufregung, die wir hinter uns haben.«
Er lachte. »Du bist immer noch recht temperamentvoll. Weißt du – ich liebe temperamentvolle Frauen. Was soll ich bloß ohne dich in England tun?«
»Das weiß ich auch nicht«, sagte sie. Niemals in ihrem Leben war sie in einem so tiefen Konflikt gewesen. Und nie so unsicher über ihre eigenen Gefühle. Sie war zornig, sie war zärtlich, sie liebte und sie hasste ihn zugleich, sie hätte weinen mögen und wünschte nichts anderes, als seine Arme um sich zu fühlen, seinen Mund auf ihrem. – Er fragte, was er ohne sie in England tun sollte? Was tat sie ohne ihn in Amerika?
Er schien ihre Gefühle zu begreifen, drückte sie an sich. Dann zündete er eine Zigarette an und steckte sie ihr in den Mund. Eine Weile saßen sie schweigend.
Dann sagte Judith: »Ich mußte heute darüber nachdenken, wie das alles gekommen ist. Wenn ich Richard nicht kennen gelernt hätte und das alles mit ihm erlebt hätte, was nachher kam, dann wäre ich nie nach Barbados geflogen und ich hätte dich nie getroffen. Was hättest du dann getan, wenn – ich meine – wärst du auf jeden Fall herübergekommen?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht, wenn ich dich nicht gekannt hätte, vielleicht wäre ich dann den leichteren Weg gegangen. Ich hätte mich nicht einsperren lassen. Kein Schauprozess. Keine Hinrichtung als Verräter.
Wenn ich sterben muß, dann nicht für eine politische Lüge. Eine Lüge, die sie meinem Volk erzählen. Wahrheit hat doch einen absoluten Wert, ich habe das von dir gelernt.«
»Auch Glaube«, sagte sie. »Ich habe für dich gebetet. Und wenn du willst, kannst du jetzt darüber lachen.«
»Ich lache nicht. Ich brauche alle Helfer, die ich bekommen kann. Sogar deinen nicht existierenden Gott. – Sei nicht wieder böse. – Vielleicht gibt es einen Gott. Vielleicht gibt es auch einen Tamarindenbaum, der für die Unschuld eines Mannes zeugte. Du glaubst an diese Dinge, ich nicht. Vielleicht bist du so geworden wie du bist, weil du glauben kannst. Und dann hätte ich keinen Grund, gegen deinen Glauben etwas zu sagen. Denn ich liebe dich. So wie du bist. Glaubst du mir das?«
»Du solltest das nicht sagen. Oh, bitte, sag es nicht.«
»Gut. Ich nehme es zurück. Dann kann ich es dir später wieder sagen. Und jetzt werde ich gehen.«
»Du weißt, daß du hier bleiben kannst, wenn du willst.«
»Nein«, sagte er. »So nicht. Es soll anders sein, wenn ich bei dir bleibe. Ich gehe. Und nun küß mich. Wünsch uns Glück für morgen.«
»Ja«, sagte Judith, »ja, wir werden es brauchen können.«
9
Der Botschafter war es, der Fergus zu sich bitten ließ. Ein Codetelegramm, mit dem Vermerk höchster Dringlichkeit, war in den frühen Morgenstunden von London gekommen, und der Botschafter hatte es sofort beim Betreten seines Büros bekommen. Also war es auch das erste, was er an diesem Tage von seiner Korrespondenz las. Er verzog missgelaunt das Gesicht. Eine höchst geheime, höchst gefährliche Secret -Service-Angelegenheit lief hier im Rahmen seiner Botschaft, und so etwas mochte kein Diplomat.
Diplomatie war eine Sache, Geheimdienst eine andere. Diplomaten wollten möglichst damit nichts zu tun haben. Der Botschafter wurde sehr höflich, aber unmissverständlich aufgefordert, jedwede gewünschte Hilfeleistung zu gewähren. Loder war der Mann des Tages, seine Operationen hatten Vorrang; was er wünschte, was er brauchte, was er anordnete, hatte zu geschehen. Das schloß auch, falls erforderlich, die Dienste aller sonstigen britischen Dienststellen, Firmen und Bürger ein, die im Bereich der Botschaft lebten. – Mit einem Wort, falls Loder den Mond haben wollte, mußte man den für ihn herunterholen.
Der Botschafter war ein alter, erfahrener Diplomat, erzogen in bester Tradition, zusätzlich besaß er einen ganz altmodischen Sinn für Verantwortung und Loyalität. Und darum betrachtete er jedes Ereignis, das sein Amt mit Intrigen oder etwa einem Skandal in Zusammenhang bringen konnte, mit höchstem Missfallen.
Die Nachricht aus London teilte mit, daß Loder ermächtigt sei, einen Überläufer der Sowjetunion aufzunehmen, und daß er für alles, was mit diesem Vorgang zusammenhing, freie Hand hatte. Der Botschafter war sich klar darüber, daß dies offenbar mit der Sache zusammenhing, von der ihm sein Luftattaché kürzlich berichtet hatte. Davon hatte er Loder Mitteilung gemacht, in der stillen Hoffnung, daß der ganzen Angelegenheit keine Bedeutung zukam und daß
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