Weißer Mond von Barbados
Um drei würde er sie abholen, um vier Uhr startete das Flugzeug nach Barbados. Dann würde sie sich besser fühlen.
Der Tag wollte nicht vergehen. Einige Male war sie nahe daran, Sverdlov in der UN-Botschaft anzurufen. Es hätte sie schon beruhigt, nur seine Stimme zu hören.
Er liebe sie, hatte er gestern abend gesagt. Und sie glaubte es ihm.
Nervös begann sie in der kleinen Wohnung aufzuräumen, holte sich den Staubsauger, aber das Geräusch machte sie noch nervöser. Vielleicht klingelte das Telefon, und sie hörte es dann nicht. Vielleicht rief er an. Oder Loder. Es konnte sich ja noch etwas ändern.
Eine Weile beschäftigte sie sich damit, Nancys Blusen zu bügeln. Dann setzte sie sich wieder vor den Spiegel und machte sorgfältig ein Make-up. Wie eine Gefangene kam sie sich vor. Würde sie jemals wieder wie ein normaler Mensch denken und handeln können? – Nein, nie mehr.
Sie machte sich ein Sandwich, das sie mühselig herunterwürgte. Dann versuchte sie zu lesen.
Plötzlich läutete das Telefon. Entsetzt sprang sie auf. Aber es war nur ein Mann, der Nancy sprechen wollte. Kurz vor drei stellte sie das Köfferchen neben die Tür. Betrachtete sich noch einmal im Spiegel. Sverdlov mußte jeden Moment kommen. Sie solle ein fröhliches Gesicht machen, hatte er ihr eingeschärft.
Glücklich und verliebt müsse sie aussehen, denn sie seien ein Liebespaar, das einen Wochenendtrip machte.
Es war bereits zehn Minuten nach der vereinbarten Zeit. Ihr Blick hing an der Tür, sie war unfähig, sich zu rühren.
Er war immer pünktlich. – Er kam nie, nie zu spät. Dann klingelte es an der Tür.
General Golitsyn war in seinem Sessel eingeschlafen. Mittags hatte er gut gegessen, und in den frühen Nachmittagsstunden fühlte er sich immer müde und abgespannt. Draußen schien eine helle Frühlingssonne, es war bereits sehr warm. Er hatte die Jalousie etwas herabgelassen und die Klimaanlage eingeschaltet.
Als die Nachricht von Fergus Stephenson eintraf, war er gerade aufgewacht und trank ein Glas Tee, um vollends munter zu werden. Dieser kleine Mittagsschlaf hinterließ immer eine träge Lethargie, die er schwer abschütteln konnte. Früher, als junger Mann, hatte er die Technik vollendet beherrscht, wo immer er stand und ging, eine kleine Schlafpause einzulegen, sogar in Zügen, Flugzeugen oder Autos, und sofort danach wieder hellwach zu sein. Jetzt brauchte er dazu einige Zeit.
Darum begriff er auch im ersten Moment nicht die ganze Tragweite der Mitteilung. Er las die kurze Notiz zum zweiten Mal. Dann stieß er einen Schrei aus. Darauf folgten einige Flüche, die seine Sekretärin im Vorzimmer erbleichen ließen. Sein Assistent eilte herbei.
Der General stand breitbeinig mitten im Zimmer. Sein Gesicht war dunkelrot, er brüllte. In der Hand hielt er den Zettel mit der kurzen Nachricht, die man ihm Sekunden zuvor gebracht hatte.
Kurz darauf stand Anna Skriabine vor ihm, bleich und zitternd, und erklärte Sverdlovs Reisepläne. Ein Flug von Washington nach New York. Und dann von New York nach Barbados. Die Maschine startete in New York kurz nach vier Uhr.
Golitsyn starrte ungläubig auf seine Uhr. Es war dreißig Minuten nach vier. Das Flugzeug nach Barbados war in der Luft.
Golitsyn hob die Hand und schlug mit aller Kraft Anna Skriabine ins Gesicht, rechts und links, und noch einmal. Dabei brüllte er, sie habe nicht nur versagt, sie habe ihn wissentlich getäuscht. Denn ihr Auftrag lautete, Sverdlov zu beobachten und über jeden Schritt und jeden Plan Bericht zu erstatten.
Das Mädchen bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und weinte vor Angst. Der alte Mann blickte sie drohend an und befahl ihr, sich in ihr Zimmer zu begeben und sich nicht fortzurühren. Sie werde erfahren, was ihre Strafe sei. Die nächste halbe Stunde verbrachte der General am Telefon. Er erfuhr, daß einer von Stukalovs Leuten bereits mit einer früheren Maschine nach Barbados geflogen sei, und Sverdlov dort erwarten würde, um ihn weiterhin zu bewachen. Aber ein Mann war zuwenig. Außerdem hatte der Mann nicht den Auftrag, Sverdlov zu töten, nur ihn zu bewachen.
Der General las noch einmal die Warnung in seiner Hand. Kein Zweifel – der Britische Geheimdienst hatte bereits die Hand im Spiel. Es war auch deutlich ausgedrückt, daß die Britische Botschaft Kenntnis von dem Vorgang hatte. Und der Flug nach Barbados, als Wochenendausflug getarnt, um eine Agentin anzuwerben, war in Wirklichkeit eine Flucht, war ein klug gewählter
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