Weißer Mond von Barbados
Licht der hohen Lampen. Es war die Regenzeit. Daran hatte sie nicht gedacht.
Sverdlov hielt ihren Arm, er ging mit großen Schritten, und sie hatte Mühe, an seiner Seite zu bleiben. Der Flug war ihr endlos vorgekommen. Über der Karibischen See waren sie durch eine kurze Sturmzone gekommen, die das Flugzeug heftig geschüttelt hatte. Es war die schrecklichste Reise ihres Lebens gewesen. Sie hatte jeden Menschen mit Argwohn betrachtet, die wenigen Geschäftsleute, die Urlaubsreisenden, die mit ihnen flogen. Wer von ihnen gehörte dem KGB an, – wer beobachtete sie?
Sie hatte ihre Befürchtungen Sverdlov flüsternd mitgeteilt, und er sagte: »Du brauchst keine Angst zu haben. Schon möglich, daß jemand mit uns fliegt. Aber im Moment geschieht nichts. Sei ganz ruhig. Lies ein Magazin und halte meine Hand.«
Als er sie abgeholt hatte, war er in seiner üblichen heiteren Stimmung gewesen, er scherzte auf dem ganzen Weg zum Kennedy Airport mit ihr. Übrigens hatte er zum erstenmal einen offiziellen Wagen der Botschaft mit Chauffeur benützt. Im Flugzeug dann änderte sich seine Stimmung. Er war ernst, legte seine Hand auf ihren Arm, und in seinen hellen Augen war plötzlich so ein verlorener, hilfloser Ausdruck, daß sie es war, die ihm tröstend zulächelte.
Aber nun, in der Ankunftshalle des Flugplatzes Barbados, während sie auf Paß- und Zollabfertigung warteten, hatte Judith das Gefühl, am Ziel zu sein. Es war natürlich lächerlich, ein heimatliches Gefühl für diese Insel zu haben, sie war gerade zwei Wochen hier gewesen, aber es kam ihr dennoch wie eine langersehnte Zuflucht vor. Und alles war vertraut, die weiche Luft, der sanfte Wind, der vielfältige Duft der tropischen Blüten, jetzt noch kräftiger durch den Regen, auch der breite Akzent der Einheimischen, den sie nun schon ein wenig besser verstand als beim erstenmal.
Das war total unlogisch, hielt sie sich selbst vor. Die Insel war eine Durchgangsstation, zumindest für Sverdlov. Er war noch lange nicht in Sicherheit. Sie mußte gut auf ihn achtgeben.
Schweigend fuhren sie zum Hotel. Er hatte sich zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Er sah so müde aus. Und mager und elend. Diese letzten Tage hatten ihre Spuren an ihm zurückgelassen.
Impulsiv schob Judith ihre Hand unter seinen Arm. Er öffnete die Augen und lächelte ihr zu.
»Keine Angst«, wiederholte er zum hundertsten Male.
»Jetzt sind wir hier. Es wird alles gut gehen.«
Nein, dachte sie. Ich glaube es nicht. Vielleicht bin ich hysterisch, – nein – in bin es bestimmt, was ja kein Wunder wäre, aber es wird nicht gut gehen, ich spüre es.
Beinahe hätte sie es ausgesprochen. Das kurze Gefühl der Entspannung, das Aufatmen nach der Ankunft war bereits wieder vergangen.
Sie trugen sich in der Rezeption ein. Alles kam ihr verändert vor. Es war doch gar nicht so lange her, aber der Raum wirkte schäbig, die Pflanzen traurig, sogar der Manager schien viel älter geworden zu sein.
Sie wandte sich um. Betrachtete alles auf einmal mit ernüchterten Augen. Hatte sie noch kurz zuvor das Gefühl gehabt, in eine vertraute, geliebte Welt zu kommen? Ganz im Gegenteil, es war eine fremde, hässliche, feindliche Welt. Sie roch nach Gefahr.
Sie drehte sich nervös wieder um, nahe daran, etwas Unsinniges zu tun oder zu sagen. Da lächelte der Manager sie an und reichte ihr die Hand, erkundigte sich nach ihrem Befinden. In seinen Augen war ein neugieriger Blick. Ein schmieriger, unverschämter Blick, wie sie fand. Es war leicht vorstellbar, was er dachte. Es fiel ihr schwer, zu lächeln, es war mehr eine verzweifelte Grimasse.
»Möchtest du noch irgendwohin gehen?« fragte Sverdlov sie.
»Um Gottes willen, nein. Ich wüsste nicht, wohin. Ich …« Sie beherrschte sich, ihre Stimme klang schrill.
Der Bungalow war genau wie derjenige, in dem sie damals gewohnt hatte. Ein kleiner Vorraum hinter der Eingangstür, der große Wohnraum dahinter mit der breiten Schiebetür, die auf die Terrasse führte. Die winzige Küche. Die schmale Treppe führte hinauf zum Schlafzimmer und dem Bad. Sie hörte, wie das Meer unten am Strand rauschte, hörte die Zikaden, die in den Bäumen sangen.
Sverdlov gab dem Mann, der ihr Gepäck gebracht hatte, ein Trinkgeld, dann kam er zu ihr.
»Wollen wir schwimmen gehen? Es würde uns beiden gut tun.«
»Nein«, sagte Judith rasch. »Nein. Loder hat gesagt, du sollst den Bungalow nicht verlassen. Du sollst nicht vor die Tür gehen.«
»Ich soll zwei Tage
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