Weißer Mond von Barbados
Schreibtisch. Elena Maximova in einem langen hellen Kleid, ein Blumensträußchen auf der Schulter, einen albernen verschleierten Hut auf dem Kopf. Sverdlov war in Uniform, er lächelte nicht, machte eher ein grimmiges Gesicht.
»Du weißt«, sagte Tomarov, »wie ich deinen Vater liebte. Und darum mache ich mir Sorgen um dich. Ich wünschte, du würdest unseren Rat befolgen.«
»Es wäre wirklich zu Ihrem Besten, Dr. Sverdlova«, sagte der zweite Mann mit Betonung.
Es war wie in der Zeit nach dem Kriege, keiner ging allein zu so einer Mission, sie waren zu zweit, damit ein Zeuge vorhanden war.
»Es geht hier nicht darum, was gut für mich ist.« – Sie hatte eine erstaunlich tiefe Stimme, was überraschend wirkte, denn sie war eine schlanke, feminin wirkende Frau. Ihr Haar war tiefschwarz, genau wie ihre Augen, in denen noch eine Spur der fernen Traurigkeit ihrer mongolischen Vorfahren zu finden war.
»Meiner Meinung nach ist es nicht das persönliche Glück, an das man in erster Linie denken sollte«, fuhr sie fort. »Viel wichtiger erscheint mir, was ihr mir über meinen Mann berichtet habt. Und darum muß ich erst darüber nachdenken.«
Sie blickte Tomarov gerade an. »Es ist sehr schwer, sich das vorzustellen. Gerade bei ihm.«
»Ich wollte es erst auch nicht glauben. Er ist der letzte, von dem ich geglaubt hätte, daß er zu korrumpieren sei. Seine Laufbahn war höchst beachtlich. Er war der beste Offizier, den wir in Ungarn hatten. Er stellte keine Fragen, er kannte kein Zögern oder Schwanken. – Aber … drei Jahre in Amerika haben genügt, ihn so zu verändern. Wenn er jetzt zurückkäme, Elena, du würdest ihn nicht wieder erkennen. Und du würdest bestimmt nicht länger mit ihm zusammenleben wollen.«
»Ich bin schuld daran«, sagte sie. »Er wollte, daß ich mitkomme nach Amerika. Aber ich wollte meine Arbeit nicht aufgeben. Und ich wollte nicht unter Kapitalisten leben. Aber er hätte offenbar jemand gebraucht, der ihm den Rücken stärkt.«
»Wenn er seine Frau dazu braucht, um loyal zu unseren Ideen zu stehen, dann ist er sowieso nicht vertrauenswürdig«, sagte der zweite Mann.
Sein Name war Roskovsky, er arbeitete seit dreißig Jahren mit Tomarov zusammen. Sie gehörten zu den wenigen Kämpfern der alten Zeit, die alle Stürme überlebt hatten. Und wie alle, die lange genug gelebt hatten, erfuhren sie nun, wie sich das Rad wieder einmal um hundertachtzig Grad gedreht hatte.
»Er ist gebrandmarkt, Elena«, sagte Tomarov. »Du mußt dich von ihm trennen, oder man wird auch dir misstrauen. So sieht es in Wahrheit aus. Reich die Scheidung ein, bevor er zurückgerufen wird.«
»Noch eine Tasse Tee?« fragte sie. Doch beide Männer schüttelten den Kopf.
Tomarov sprach in ihrem Interesse, sie wußte es. Aus alter Freundschaft für ihre Familie und aus Sorge um ihre Zukunft. Sie wußte aber auch, daß der Prozess, den man gegen Feodor führen würde, falls es überhaupt zu einem Prozess kam, weitaus ungünstiger für ihn aussehen würde, wenn sie sich von ihm scheiden ließ.
Sie war nicht nur eine der bekanntesten Kinderärztinnen in Moskau, sie war auch die Tochter eines Mannes, der zu Stalins Zeiten eine große Rolle gespielt hatte. Einige Jahre lang war das nicht zu ihrem Vorteil gewesen, es hatte ihr zwar nicht geschadet, aber auch nicht genützt. Doch nun, da das liberale Zwischenspiel vorbei war, die Partei wieder strenger regierte, gewannen verdiente Parteimitglieder wie Elena Maximova Sverdlova neues Ansehen. Und sie war ganz und gar ihres Vaters Tochter, kompromisslos bis zur Einseitigkeit, dabei klug und entschlossen. Eine Frau, die Spezialistin war für Kinder, es aber immer abgelehnt hatte, selbst ein Kind zu bekommen. Denn das würde sie in ihrer Arbeit behindern. Frauen ihrer Art waren die Seele der Revolution gewesen.
»Genossen«, sagte sie, »ich werde darüber nachdenken. Wenn ihr mich jetzt allein laßt, werde ich euch morgen mitteilen, wozu ich mich entschlossen habe. Vielen Dank, daß ihr gekommen seid.«
Sie schüttelte Roskovsky die Hand und küßte Tomarov auf die Wange.
Nachdem die beiden gegangen waren, räumte sie langsam den Samowar und das Geschirr weg, schüttelte die Kissen auf und leerte die Aschenbecher; sie selbst rauchte nicht. Als Ärztin wußte sie, wie schädlich das Rauchen war. Eine Zeitlang hatte sie mit allem Nachdruck versucht, Sverdlov das Rauchen abzugewöhnen, vergebens.
In diesem Moment dachte sie an ihre letzte Begegnung. Da lag er in
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