Weißer Mond von Barbados
neutral«, meinte er, »aber ich bin ein Optimist. Ich setze alle meine Hoffnung auf die Feuerfresser heute abend.«
»Was erwarten Sie denn von denen?«
Der Wagen machte einen heftigen Satz nach vorwärts.
»Daß sie Ihr Herz zum Schmelzen bringen«, sagte er. »Und nun halten Sie sich gefälligst schön fest. Jetzt fahren wir zur Belohnung an den Hafen.«
An diesem Abend trank er zum ersten Mal so viel Whisky, daß er ein wenig betrunken war. Das Essen war ausgezeichnet, das Lokal sehr hübsch. Als sie ihren Tisch einnahmen, erregten sie Aufsehen. Judith sah sehr schick aus. Sie hatte sich in der teuersten Boutique von Bridgetown einen Hosenanzug gekauft, dessen dunkles Rosa sie besonders gut kleidete.
Es war unerhört exotisch, und sie amüsierten sich beide. Die Tanzfläche bunt beleuchtet und von Palmen umgeben, auf jedem Tisch flackerte überdies eine Kerze. Die Ober in weißen Jacken bedienten aufmerksam, eine erstklassige Band spielte Rock und Beat. Ein wenig Wind war aufgekommen, man hörte, wie unten das Meer an die Küste brandete.
Mitten in einem Tanz mußte Judith daran denken, daß sie niemals so viel Spaß gehabt hätte, wenn sie mit Richard Paterson hier gewesen wäre. Er hätte das alles lächerlich gefunden. Plötzlich merkte sie, daß es schwer war, sich an ihn zu erinnern, sich vorzustellen, daß er es war, mit dem sie jetzt tanzen würde. Fast empfand sie ein wenig Schuldbewusstsein, daß der Gedanke an ihn keinen Schmerz mehr verursachte. – Er war doch ihre große Liebe gewesen?
Bedeutete ihr denn dieser fremde Mann etwas? – Fremd? Er war nicht mehr fremd.
Allerdings war ihr bald klar, daß sie an diesem Abend Schwierigkeiten mit Sverdlov haben würde. Er bestand darauf, in altmodischer Art zu tanzen, was ihm die Möglichkeit gab, sie im Arm zu halten und ihren Körper zu berühren.
»Schau sie dir an«, flüsterte er, den Mund an ihrem Ohr, »schau dir diese Leute an. Jeder tanzt mit sich allein. Für uns in Russland ist das degeneriert. Nein – bleib da, geh nicht weg.« Und er drückte sie noch fester an sich.
Kaum hatten sie das Lokal verlassen, um zum Wagen zu gehen, griff er nach ihr, drängte sie zurück auf einen dunklen Weg und drückte sie gegen einen Baumstamm. Sie hatte weder Zeit zu protestieren noch sich zu wehren. Er küßte sie, bis er keine Luft mehr bekam. Mit seinem ganzen Körpergewicht lag er auf ihr.
»Warum schließt du deinen Mund?« fragte er. »Du magst mich, ich fühle es. Hast du Angst vor der Liebe?«
»Ja.«
Sie rührte sich nicht und stieß ihn auch nicht zurück. »Ja. Ich habe Angst. Ich habe gerade eine sehr enttäuschende Liebe hinter mir. Und ich denke nicht daran, eine neue anzufangen, auch nicht mit dir. Bitte, versteh das. Und nun lass uns zum Wagen gehen.«
Er antwortete nicht, aber er ließ sie auch nicht los. Blickte in ihr Gesicht mit einem Ausdruck, den sie nicht deuten konnte. Dann beugte er wieder den Kopf und küßte sie. Diesmal machte er keinen Versuch, ihre Lippen zu öffnen.
»Wir werden nach Hause fahren, und du wirst mir alles erzählen.«
»Nein«, sagte sie. »Ich will nicht darüber sprechen.«
»Doch. Du wirst sprechen. Ich bringe jeden dazu, mir zu erzählen, was ich wissen will. Und von dir will ich alles wissen. Komm!«
Während sie zum Wagen gingen, legte er den Arm um sie.
»Bitte, versteh richtig. Du wirst nicht gedrängt und nicht genötigt. Es ist ein Rat, den wir dir geben. Du mußt ihn nicht befolgen. Ist das so korrekt?«
Diese letzte Bemerkung richtete Gregory Tomarov an seinen Begleiter, Bestätigung erwartend. Die Männer blickten sich an und nickten. Die Frau stand ihnen gegenüber und sagte nichts.
Sie hatte keine Ahnung gehabt, was sie erwartete, denn es begann ganz unformell. Tomarov hatte nur darum gebeten, sie besuchen zu dürfen, und hatte angefragt, ob er vorbeikommen könne, wenn sie aus der Klinik kam.
Sie empfing ihn und seinen Begleiter mit der gewohnten Ruhe und Gelassenheit, bot Tee, Wodka und Gebäck an. Tomarov war ein alter Freund ihres Vaters, sie hatten beide unter Marschall Timoshenko gedient. Als sie Feodor Sverdlov heiratete, war Tomarov einer der Trauzeugen im Volkspalast gewesen. Man konnte ohne Übertreibung sagen, daß er sie wie eine Tochter liebte, er kannte sie von Kindesbeinen an.
Zu jener Zeit, als sie heiratete, stand Sverdlov bei der Partei in hohem Ansehen. Übrigens stand ihr Hochzeitsbild, das gleiche, das sie in ihrem Zimmer stehen hatte, auf Tomarovs
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