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Weißer Mond von Barbados

Titel: Weißer Mond von Barbados Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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ihrem Bett und rauchte eine Zigarette, unmittelbar davor hatte er sie umarmt. Es erfüllte sie mit Ärger, daran zu denken.
    Zehn Jahre lang war sie mit ihm verheiratet, und nun, wenn sie mit klarem Kopf an die Zeit mit ihm zurückdachte, zweifelte sie nicht daran, daß Tomarov recht hatte. Sie hatte in vielen Dingen nicht mit ihrem Mann übereingestimmt, und es gab so kleine Hinweise, die, jetzt bedacht, es durchaus als möglich erscheinen ließen, daß er abtrünnig geworden war. Sicher – als junger Mann war Sverdlov dem Sowjetsozialismus so verbunden wie sie auch, jedenfalls schien es so. Erst bei näherem Zusammenleben entdeckte sie die Lust an der Kritik in ihm, manchmal konnte er geradezu zynisch sein. Es hatte sie gestört, sie hatte viel mit ihm diskutiert, hatte jedoch Unsachlichkeit oder Streit vermieden, was ihrer Meinung nach für intelligente freie Menschen eine unwürdige Art der Auseinandersetzung war.
    Aber auch ihre sachlichen Argumente waren oft von ihm einfach mit Lachen beantwortet worden, er nahm sie in die Arme oder begann einfach, sie auszuziehen.
    Er war nicht nur klug, er hatte auch die Gabe, sich in die Gedanken und Gefühle anderer hineinzuversetzen, eine Gabe, die für seine Arbeit von großem Nutzen war. Doch es störte sie, daß er manchmal Dinge in Frage stellte, die ihrer Ansicht nach keine Frage erlaubten, die man automatisch glauben mußte.
    Seine Karriere war erstaunlich gewesen, er war ehrgeizig und kannte keine Skrupel, aber seine Motive ließen den klaren, selbstlosen Untergrund vermissen, der für sie die Voraussetzung für einen Menschen dieses Landes war.
    So betrachtete sie ihre Arbeit. Sie arbeitete mit Kindern, kranken, unheilbaren oder auch zurückgebliebenen Kindern, sie gab ihr letztes für diese Arbeit, doch niemals spielten menschliche oder gar weibliche Gefühle dabei eine Rolle. Sie rettete ein Leben, wenn es möglich war. Aber in anderen Fällen verhinderte sie den Tod nicht, wenn es ihr besser erschien.
    Und diese kühle Überlegung bewahrte sie in allen Bereichen ihres Lebens.
    Sie weigerte sich, den Wunsch ihres Mannes zu erfüllen, selbst Kinder zu haben, und sie weigerte sich, ihn nach Amerika zu begleiten. Niemals hätte sie ihren Beruf aufgegeben.
    War es wirklich möglich, daß ihr Mann sich hatte anstecken lassen vom westlichen Bazillus? Der gleiche Mann, der so erbarmungslos mitgeholfen hatte, den ungarischen Aufstand niederzuschlagen, der China verurteilte für seine Neigung zur Koexistenz mit dem Westen.
    Wie Tomarov erzählt hatte, war General Golitsyn schon seit zwei Jahren mißtrauisch, weil er mitangesehen hatte, wie Sverdlov immer leichtfertiger sein Amt handhabte und durch seine laxe Haltung nicht nur in seiner Abteilung in der Botschaft ein schlechtes Beispiel gab, sondern auch auf andere Russen einen schlechten Einfluß ausübte.
    Sverdlov hatte ihr regelmäßig geschrieben, und sie hatte ihm genauso regelmäßig geantwortet; sie berichtete von ihrer Arbeit, von den letzten Ereignissen in Moskau, erkundigte sich nach Bekannten in der Botschaft. Sie hatte niemals nach Amerika gefragt, sie wollte gar nicht wissen, wie es dort war, möglicherweise etwas Positives hören, und so, wie sie Sverdlov kannte, hätte er, schon um sie herauszufordern, sicher manches Günstige über das verhaßte Kapitalistenland berichtet. Über seine Arbeit in Washington konnte er nichts schreiben, das war klar.
    Anfangs hatte sie ihn vermisst. Sie hatten sich geliebt, und er war ein Mann, der eine Frau ausfüllen konnte, er war überdies ein guter Liebhaber. Doch erst als er eine Weile fort war, gab sie sich selbst Rechenschaft darüber, daß sie die sexuelle Herrschaft, die er über sie ausgeübt hatte, im Grunde verabscheute. Sie fühlte sich dadurch gedemütigt.
    Ehe war eine soziale und sexuelle Partnerschaft zwischen gleichberechtigten Partnern. Er aber hatte sie beherrschen wollen, er hatte ihre Unabhängigkeit bedroht, instinktiv hatte sie es immer gewußt, und als sie allein war, schämte sie sich, daß es ihm fast gelungen war, sie an die Leine zu legen. Aber doch nicht ganz. Sie hatte ihre Arbeit nicht aufgegeben, sie hatte kein Kind bekommen, auch wenn er sie im Bett besiegt hatte.
    Eines Tages entdeckte sie, daß sie froh darüber war, wieder allein zu sein.
    Dennoch … der Gedanke an eine Scheidung erschreckte sie. Er war ihr Mann, trotz allem. Sie liebte ihn. Oder hatte ihn geliebt. Die Warnung, die man ihr heute hatte zukommen lassen, war deutlich

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