Weißer Mond von Barbados
hatte.«
»Jeder Mensch hat ein Gewissen«, sagte sie. »Sie wissen, daß es so ist. Schließlich basiert Ihre ganze Ideologie mehr oder weniger darauf, Unrecht gutzumachen. Die Tatsache aus der Welt zu schaffen, daß einige Leute zuviel haben und die meisten gar nichts.«
»Ach, Sie meinen also, Marx wurde von seinem Gewissen getrieben – so unter dem Motto: Wer nichts hat, dem soll gegeben werden –, ist es das, was Sie sagen wollen?«
»Ja«, sagte sie, »so in etwa. Und außerdem weiß es jeder Mensch, wenn er Unrecht getan hat. Das sagt ihm eben sein Gewissen.«
»Man weiß, wenn man einen Fehler gemacht hat«, korrigierte Sverdlov. »Das ist nicht dasselbe. Aber wie auch immer. Ich finde Ihre Theorie sehr interessant. Vielleicht gelingt es mir, Sie zum Marxismus zu bekehren.«
Er strich leicht mit einem Finger über ihren nackten Arm.
»Hören Sie auf, sich über mich lustig zu machen. Und das sollten Sie auch nicht tun, Mr. Sverdlov« – sie zog ihren Arm zurück.
»Ich bitte um Verzeihung, Mrs. Farrow, mein Gewissen hat versagt. Es ließ mich wissen, gerade dies sei das Richtige.«
Sie überließ ihm ihren Arm, und sie gingen weiter durch die übrigen Räume. Es gab noch eine Sammlung von schönen alten Bildern, eine Vitrine voll Porzellan, gesammelt einst von den reichen Residenten der Insel, ein paar hässliche Möbelstücke aus dem 19. Jahrhundert und als Höhepunkt ein massives Himmelbett.
Dann waren sie wieder draußen im Sonnenschein.
»Ich möchte mir diese Tamarindengeschichte noch einmal ansehen«, sagte sie plötzlich, »ich bin in einer Minute wieder da.«
Sverdlov ließ sie allein gehen. Er wartete in dem gepflasterten Hof, die Augen halb geschlossen vor der gleißenden Sonne. – Und er fragte sich, ob sie ihnen wohl auch bis zu diesem Museum gefolgt waren. Und ob wohl einer von diesem knapp halben Dutzend Besucher, die hier herumschlenderten, sein Bewacher war. – Sie waren ziemlich ungeschickt. Allerdings – im Hotel konnte selbst er bei all seiner Erfahrung nicht ausmachen, von wem er beobachtet wurde.
Er zündete sich eine Zigarette an, während er wartete. Frauen waren doch seltsame Geschöpfe. Warum fand sie wohl diese törichte Legende von dem Sklaven und dem Tamarindenbaum so faszinierend? Es kam ihr wohl sehr romantisch vor. Er wünschte, ein wenig von dieser Romantik würde sie auf ihn übertragen, denn natürlich dachte er an Liebe. Aber in den zehn Tagen, die er bisher mit Mrs. Farrow verbracht hatte, war von Sex keine Rede gewesen, und viel Zeit blieb nun nicht mehr. Eine kleine Liebesaffäre wäre für ihn eine nützliche Ablenkung gewesen. Aber siehe da, sie hatte ihm so auch geholfen.
Er hatte sich selbst wieder gefunden. Gerade dieses verspielte Leben, das er jetzt führte, der Flirt mit dieser Frau, die zu dem anderen Teil der Welt gehörte, war für ihn eine gute Therapie gewesen. Anfangs hatte er gar nichts Besonderes von ihr wissen wollen, nur ihren Namen und was sie in Amerika tat.
Eines Abends hatte sie ihm unaufgefordert erzählt, daß sie Witwe sei und keine Kinder habe. Er hatte keine weiteren Fragen gestellt. Doch auf einmal empfand er das als unbefriedigend, er hätte noch gern mehr über ihr früheres Leben gewußt, über den Mann, den sie verloren hatte, und warum sie sich so entschieden gegen jede Annäherung wehrte.
Er lächelte, als er sie aus dem Museum kommen sah.
»Ich mußte noch mal nachsehen, wie dieser Ort heißt«, sagte sie. »Haywards Pflanzung, St. Peter.«
»Und jetzt wollen Sie dahin fahren und sehen, ob es diesen Tamarindenbaum gibt?«
»Ich weiß nicht. Doch, ich möchte ihn gern sehen. Und ich möchte gern eine von den Früchten dieses Baumes haben. Um es Ihnen zu beweisen.«
»Das ist gar nicht nötig«, sagte Sverdlov. »Ich bin schließlich Russe. Wir sind das Volk, das die Märchen erfunden hat.«
»Ich weiß. Genau wie den lieben Gott«, sagte Judith. Sie gingen langsam zurück zu dem Minimoke. »Davon haben wir schon gesprochen.«
»Wir haben eigentlich schon viel diskutiert und waren durchaus nicht immer einer Meinung, aber es hat uns nicht gestört.«
Plötzlich mußte er an seine Frau denken. Sie war so weit weg, aber wenn sie gehört hätte, was er eben sagte, würde sie es nie verzeihen können.
»Wir beide haben bewiesen, daß es Koexistenz geben kann.«
»Vielleicht kommt es daher«, sagte sie, »weil wir uns auf neutralem Boden befinden.«
Sverdlov ließ den Motor an.
»Mir ist der Boden schon zu
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