Weißer Mond von Barbados
akzeptieren. Ich sehe heute alles anders.«
»Kannst du nicht … ich meine, könntest du nicht zur Armee zurückgehen? Wenn du den Antrag stellst …« Sie war verwirrt. Was wußte sie, wie es bei denen war.
Er warf ihr einen kurzen Blick von der Seite zu. »Das ist das letzte, was ich tun könnte.«
Judith war verwirrt, hilflos, und noch ein anderes Gefühl erfüllte sie, das schwer zu beschreiben war. Mitleid? Zuneigung?
»Ich weiß nicht, was ich dir antworten soll«, sagte sie. »Es ist unmöglich für mich, dir zu helfen. Aber du wirst diesen Zustand überwinden. Es wird vorbeigehen. Wirklich, du bist sicher nur überarbeitet. Bleib doch noch hier, bis ich auch zurückfliege. Geht das nicht?«
»Doch.« Sie spürte, wie die Spannung in ihm nachließ. Seine Hand, die zuletzt ihr Handgelenk umklammert hatte, lockerte ihren Griff, er begann wieder mit dem Daumen leicht ihr Handgelenk zu massieren.
»Doch, ich kann bleiben. Wenn du willst, daß ich bleibe. Wir können zur gleichen Zeit zurückreisen … Weißt du, wir könnten morgen wieder zum Hafen fahren. Vielleicht nehmen wir uns ein Schiff und besuchen eine von den anderen Inseln.«
»Das würde Tage dauern. Grenada liegt am nächsten. Wenn man fliegt, dauert es nur eine Stunde.«
»Und in zwei Stunden ist man mit dem Flugzeug in Brasilien«, sagte er. – »Willst du noch schwimmen gehen?«
»Nein, heute nicht.« Sie stand auf und ging über die Terrasse. Er folgte ihr.
»Das war eine lange Nacht«, sagte sie.
»Ja. Aber gut für uns beide.« Er hielt ihr die Hand hin, sie legte die ihre hinein. Er zog sie ein wenig an sich und legte die andere Hand auf ihre Schulter.
»Weißt du, was mich überrascht?« sagte er. »Du hättest eigentlich sagen müssen, ich soll zu euch kommen. Glaubst du, der Westen will mich nicht?«
»Doch. Sicher. Aber ich glaube nicht, daß es gut für dich wäre. Ich weiß, daß es nicht gut wäre.«
»Ja. Ich weiß es auch.« Seine Hand glitt von ihrer Schulter aufwärts zu ihrem Nacken, unter ihr Haar. »Du magst keine Überläufer, nicht wahr?«
»Nein. Ich würde auch nicht überlaufen. Aber jeder Mensch sollte die Freiheit haben, zu wählen, wo und wie er leben will. Und nun mache dir keine dummen Gedanken. Es ist nur eine Laune. Du wirst das alles vergessen. Es ist diese Nacht …«
»Die Nacht der großen Bekenntnisse«, seine Stimme war leise, sein Gesicht ganz nah. »Und weißt du was? Du hast ganz deinen Group-Captain vergessen.«
»Gute Nacht«, sagte Judith. Sie ging die Stufen hinab, die wenigen Schritte hinüber zu ihrem Bungalow.
Er kam ihr nach und sagte: »Morgen werden wir zu dieser Pflanzung fahren und nach deinem Tamarindenbaum Ausschau halten.«
»Und was wirst du sagen, wenn wir ihn finden?«
»Was wirst du sagen, wenn wir ihn nicht finden?«
4
Mrs. Stephenson war zu der Erkenntnis gekommen, daß sie Mrs. Paterson eigentlich ganz gut leiden konnte. Auf jeden Fall mochte sie Rachel Paterson lieber als deren Mann, den Group-Captain Richard Paterson.
Das war höchst ungewöhnlich, denn sie mochte Männer lieber als Frauen. Grundsätzlich. Und für die Diplomatenfrauen hatte sie schon gar nichts übrig. Die Damen der Botschaft gingen ihr samt und sonders auf die Nerven, wie sie ihrem Mann schon oft genug erklärt hatte.
»Sie sind heutzutage so gewöhnlich«, pflegte sie zu sagen. »Langweilige Tunten, die nicht mal Konversation machen können.«
Der Hochmut seiner Frau ärgerte den Gesandten Fergus Stephenson. Er war der zweite Mann an dieser Botschaft und naturgemäß mehr als der Botschafter selbst mit Personalfragen befasst. Überdies hatte er ein starkes Gefühl der Loyalität für alle Angehörigen der Botschaft; selbst der kleinste Angestellte war für ihn ein ebenbürtiger Mitarbeiter. Er spielte sich niemals als Chef auf oder ließ einen anderen seine intellektuelle Überlegenheit fühlen. Daher kam es wohl auch, daß er überaus beliebt war, der ganze Stab sprach von ihm mit Achtung und sogar Bewunderung. Er sei ein wahres Mustermodell von Vorgesetztem, sagte seine Frau mit ihrem bösartigen Spott. Sie hatte weder Achtung vor ihm, geschweige denn bewunderte sie ihn. Sie war seine Frau, sie lebte mit ihm, aber es gehörte zu ihren Gewohnheiten, ihn zu demütigen und lächerlich zu machen. Nicht vor den anderen natürlich, dazu war sie zu ehrgeizig und zu sehr auf ihre Stellung bedacht, die ja mehr oder weniger von seiner Position abhing.
An diesem Abend, während sie sich zum
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