Weißer Mond von Barbados
des Stabes immer darin wetteiferten, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Es hatte diverse Beziehungen gegeben, sie waren aber immer nur kurz. Auch Anna Skriabine würde nicht lange benötigt werden. Nur so lange, bis man genug aus Kalinin herausgebracht hatte, um Sverdlov nach Moskau zu beordern.
Golitsyn war außerordentlich vorsichtig vorgegangen. Der Arzt der Botschaft mußte Kalinin untersuchen und hatte, wie es von ihm erwartet wurde, bei dem jungen Mann hochgradige nervöse Erschöpfung diagnostiziert und empfohlen, daß man ihn für einen längeren Urlaub in die Heimat schicken solle.
Kalinin hatte ziemlich energisch protestiert, erst gegen die Untersuchung, dann gegen den Befehl zur Heimkehr. Natürlich hatte es ihm nichts genützt. Starke Beruhigungsmittel hatten ihn mattgesetzt, in einem Krankenwagen, begleitet von zwei Pflegern, war er zum Kennedy Airport gefahren und in das Flugzeug verfrachtet worden.
Montag morgen endlich hatte man Sverdlov das Attest des Arztes auf den Schreibtisch gelegt, beigefügt ein paar erklärende Worte von Golitsyn. Nun hielt der Alte die Zeit für eine Rücksprache für gekommen. Mit seinem schweren Schritt machte er sich auf den Weg zu Sverdlovs Büro.
Da war da noch die Sache mit der Engländerin auf Barbados. Es war ganz einfach gewesen, Sverdlov und die Frau beobachten zu lassen. Ein unscheinbarer kleiner Mann, der Golitsyn speziell für diese Gegend zur Verfügung stand, hatte das besorgt. Zusätzlich waren ein Ober im Hotel und das Zimmermädchen bestochen worden. Man hatte nichts Verdächtiges gefunden, nicht in Sverdlovs Bungalow noch in dem der Engländerin. Auch bei den gemeinsamen Unternehmungen und Ausflügen der beiden war nichts Außergewöhnliches beobachtet worden. Jedoch war jedes Detail seiner Freundschaft zu Judith Farrow festgehalten worden und befand sich bei dem Bericht, den der General nach Moskau schicken würde.
Anna Skriabine saß im Vorzimmer, sie blickte auf, als der General eintrat, und erhob sich.
»Melden Sie Genosse Sverdlov, daß ich hier bin.«
Sie klopfte an die Tür, der General sah Sverdlov am Schreibtisch sitzen und dem Mädchen zulächeln.
Golitsyn und Sverdlov schüttelten sich die Hand, setzten sich und zündeten Zigaretten an.
Sverdlov sah gut aus, braungebrannt, ein wenig zugenommen hatte er auch, sein Gesichtsausdruck war heiter und gelöst. Golitsyn hasste den ironischen Mundwinkel. Man wußte nie, lächelte der oder machte er sich lustig über einen.
»Du siehst gut aus, Genosse«, sagte er. »Schöne Ferien gehabt?«
»In jeder Beziehung. Ich werde noch davon erzählen. Aber im Moment interessiert mich vor allem eins: Was ist mit Kalinin los?«
Das hatte Golitsyn erwartet. »Ich habe dir berichtet.«
»Ich habe es gelesen. Aber ich wüsste gern Details.«
»Er war sehr nervös, das konnte jeder deutlich sehen. Überarbeitet«, sagte Golitsyn. »Es hieß, daß er nachts nicht schlafen könne. Und er trank. Wusstest du das, Genosse? Nein? – Man hat sein Zimmer durchsucht und leere Flaschen unterm Bett und im Schrank gefunden. Das machte mir Sorge. Du warst nicht da, und ich wußte, er hat Zugang zu vertraulichen Informationen. Ich ersuchte ihn, die Botschaft nicht zu verlassen, solange du abwesend seist. Er weigerte sich. Schließlich schickte ich ihn zur Untersuchung. Das Ergebnis steht in meinem Report. Bedauerlich.«
»Das ist untertrieben, Genosse«, sagte Sverdlov. – »Kalinin ist für mich unersetzlich. Außerdem fühle ich mich verantwortlich für seine Krankheit. Möglicherweise hat er bei mir zuviel arbeiten müssen.«
»Ja.« Golitsyn nickte mit seinem würdigen grauen Haupt. »Das vermutet der Doktor auch. Falls du mit der Skriabine nicht zufrieden bist – ich kann dir auch einen Mann besorgen.«
»Sie macht ihre Sache ganz gut. Eine perfekte Sekretärin. Vielleicht werde ich sie behalten. Vielleicht nicht. Offen gestanden arbeite ich lieber mit einem Mann, er ist zuverlässiger. Frauen sind manchmal – nun ja, etwas zu persönlich. Du verstehst.«
Er beobachtete Golitsyn unter halbgeschlossenen Lidern. Der Mann war wie ein Fels. Saß hier mit der Miene eines Biedermannes, nachdem er ihm einen Spitzel vor die Nase gesetzt hatte, eine wahre Arsenikpille unter Zuckerglasur verborgen. Man durfte nicht den Anschein erwecken, als verschlucke man das Bonbon gar zu bereitwillig.
Sverdlov wechselte das Thema. »Ich habe alles durchgesehen, was sich in den zwei Wochen, die ich nicht da war, angesammelt
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