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Weißer Mond von Barbados

Titel: Weißer Mond von Barbados Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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hat. Interessant sind vor allem die Informationen von ›Blau‹. Ich habe meinen Kommentar dazu geschrieben.«
    »Ich habe ihn gelesen«, sagte Golitsyn.
    »Du bist andrer Meinung?« Die Frage kam gelassen.
    Noch vor zwei Jahren hätte der General nicht gewagt, seine wirkliche Meinung zu äußern. Vor zwei Jahren noch war Sverdlov der Herr über Leben und Tod, nicht nur was den General betraf, er war es für jeden in der Botschaft, den Botschafter selbst nicht ausgenommen.
    Jetzt war es anders. Er wußte es nicht. Er spürte es nur. Und was er bestimmt noch nicht wußte – die Mündung der Pistole zielte genau auf sein Genick.
    Golitsyn antwortete mit gleicher Gelassenheit.
    »Meiner Meinung nach sollten wir keinerlei friedliche Annäherungen im Mittleren Osten unterstützen, Genosse. Denn wir sollten in jeder Ecke der Welt, wo es noch imperialistische Einflüsse gibt, den Kampf gegen den Kapitalismus in ungebrochener Härte weiterführen.«
    »Man muß die anderen Teile der Welt auch beachten. Wenn Kambodscha ein Operationsgebiet Amerikas wird, besteht die Gefahr eines Eingreifens von China. Meiner Meinung nach können wir uns nicht länger mit dem arabisch-israelischen Konflikt binden. Wichtiger ist es, den Fernen Osten von chinesischem Einfluß frei zu halten. So sehe ich es, Genosse. Ob die Juden die Araber umbringen oder die Araber die Juden töten, ist für uns nicht von Wichtigkeit. Wichtig ist es, die sowjetische Macht gegen Mao zu behaupten. Das ist meine Überzeugung, und dafür stehe ich ein. Ich wundere mich, daß du anders denkst.«
    »Ich glaube sowieso daran, daß wir unsere Differenzen mit China beenden können«, antwortete Golitsyn. Er begriff, daß er überprüft wurde. Aber er war sicher genug, seine Meinung zu vertreten.
    »Unsere Ziele, Genosse, sind die gleichen. Die Missverständnisse entstanden durch die laxe Führung der letzten Jahre. Unsere Haltung gegen unsere Feinde war zu weich. Die kapitalistische Welt muß zerstört werden, Genosse Sverdlov. Unsere Welt und ihre Welt kann nicht zugleich existieren. Es gibt keine Koexistenz. Das Wort selbst ist Verrat an der Revolution. Wenn wir überleben wollen, müssen wir sie zerstören. Und dieses Ziel haben wir mit China gemeinsam.«
    »Ich glaube nicht, daß wir gemeinsame Ziele haben«, sagte Sverdlov.
    Das lief auf eine grundsätzliche Debatte hinaus. Sein alter Feind, der ihm hier gegenübersaß, hatte nie den richtigen Blick für politische Realität besessen. Eigentlich müßte er es so sehen, wie Sverdlov es sah, es war nur allzu deutlich. Aber dieser Typ blieb in den Anfängen bolschewistischen Denkens stecken. Aus diesem Grunde war es wohl wirklich nötig gewesen, so viele von ihnen zu töten, nachdem die Revolution beendet war und Politik gemacht werden mußte.
    »China ist geblieben, was es immer war – ein nationalistisches Reich mit imperialistischer Tradition, auch der Marxismus hat daran nichts geändert. Historisch gesehen hat sich China nicht vorwärts-, sondern zurückentwickelt. Die unmittelbare Vergangenheit, als es eine lose Vereinigung zerstrittener Provinzen war, regiert von einem Gangster wie Tschiang-kaischek, wurde abgelöst von einem Machtkomplex, der dem des achtzehnten Jahrhunderts gleicht. Ein riesiges gieriges Land mit der zahlreichsten Bevölkerung der Erde, regiert von Mao Tse-tung, Kaiser von China. Gewiß – sie werden die kapitalistische Welt zerstören und werden herrschen über das, was übrig bleibt. Falls etwas übrig bleibt. Aber sie werden auch uns zerstören, die einzige Macht, die ihnen gefährlich werden kann.
    Ich liebe mein Land, General, ich glaube nicht, daß es möglich ist, den chinesischen Tiger zu reiten. Ich glaube nicht einmal, daß es möglich ist, ihm nahe zu kommen, ohne gefressen zu werden.«
    Golitsyn schüttelte den Kopf. Er hatte aufmerksam zugehört, ohne jedoch wirklich zu begreifen, was Sverdlov sagte. Er hatte nur registriert, daß Sverdlov China attackierte. Nicht den westlichen Kapitalismus.
    »Du siehst es auf deine Weise«, sagte Golitsyn. »Ich sehe es anders.«
    »Also sind wir uns einig, daß wir uns nicht einig sind«, sagte Sverdlov mit schiefem Mund, »aber das soll uns nicht daran hindern, jetzt mit der Arbeit fortzufahren. Hier zwischen uns wissen wir immerhin, wie Koexistenz aussieht.«
    Er drückte auf die Klingel, Anna Skriabine erschien.
    »Bringen Sie Tee für den General«, sagte er. »Und für mich den Whisky und ein Glas.«
    Golitsyn wartete schweigend,

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