Weißer Mond von Barbados
bis der Tee kam. Und sah dann zu, wie das Mädchen vorsichtig eine geringe Menge Whisky in Sverdlovs Glas goß. Sverdlov nahm ihr die Flasche aus der Hand und goß das Glas mit purem Whisky halb voll. Dann trank er, als wäre es Wasser.
Das Mädchen ging hinaus, lautlos und graziös.
Sverdlov beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Er kannte sie seit drei Tagen, und er konnte sie nicht ausstehen.
»Ich möchte wissen, wer ›Blau‹ angeworben hat«, sagte er plötzlich.
»Es heißt, daß du es warst, Genosse Sverdlov«, sagte der General. – Er hatte es immer geglaubt, und auch alle übrigen Mitarbeiter des Geheimdienstes waren dieser Meinung.
»Ich weiß nicht einmal, wer ›Blau‹ ist«, sagte Sverdlov. »Niemand weiß es außer Panyushkin. Daran sieht man, wie wichtig er ist. Keiner, der je für uns gearbeitet hat, war so gut getarnt.«
»Eine kluge Vorsorge«, sagte Golitsyn. Er sah immer noch mit Staunen, wie der Whisky weniger wurde. Das war wieder ein Zeichen der Degeneration. Wenn er Wodka getrunken hätte, wäre nichts daran auszusetzen.
»So kann ihn keiner auf unserer Seite verraten. Wir hatten Versager unter uns, die wußten von Fuchs und Nunn May. Das war ein großer Fehler.«
»›Blau‹ ist unsere beste Informationsquelle, und das für sehr verschiedenartige Objekte«, sagte Sverdlov. »Und alles, was von ihm kommt, ist von höchster Wichtigkeit. Ich habe Dutzende von diesen ›Blau‹-Mitteilungen in den letzten Monaten gesehen, und alle waren erstklassig und immer zutreffend. Kein unnötiges Wort, kein Irrläufer dabei.«
»Von welcher Nationalität?« fragte Golitsyn hinterlistig. Vielleicht verriet Sverdlov sich, falls er wirklich wußte, wer ›Blau‹ war.
»Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Bei der Gelegenheit hätte ich noch etwas zu berichten. Durch einen glücklichen Zufall konnte ich auf Barbados einen guten Kontakt herstellen.«
Golitsyn blickte ihn lauernd an. Ungewiss fühlte er eine leichte Enttäuschung.
»Auf der Insel habe ich eine Frau kennen gelernt. Sie hat einen brauchbaren Job bei der UN und gute Beziehungen zur Britischen Botschaft. Wir haben uns angefreundet.«
Er lächelte schief aus dem Mundwinkel und leerte sein Glas.
»Ich werde diese Freundschaft vertiefen. Ich denke, es wird mir gelingen, sie anzuwerben.«
»Das wäre wohl sehr nützlich«, sagte Golitsyn sauer. – Mrs. Farrow mußte also wohl aus seinem Bericht nach Moskau herausgenommen werden. – Sie schien ein Plus zu sein, kein Minus.
Nach einer Stunde verabschiedete Sverdlov seinen Besucher.
Dann ließ er sich mit Judiths Büro im UN-Gebäude in New York verbinden. Vermutlich würde Anna Skriabine das Gespräch vom Vorzimmer aus mit anhören.
Er nahm das Vier-Uhr-Flugzeug nach New York.
Als Judith auf die Straße trat, war es fünf Minuten nach halb sieben. Sie wandte sich nach links und ging den Block entlang bis zur nächsten Straße. Kurz vor der Ecke parkte ein dunkelgrüner Mercedes. Als sie herankam, wurde das Fenster heruntergedreht, und er steckte den Kopf heraus.
»Hallo«, sagte er. Die Tür wurde geöffnet. Sie stieg ein. Er nahm ihre Hand, schüttelte sie erst, dann küßte er sie, erst den Handrücken, dann die Innenfläche. Und dann lächelte er sie an.
Sie versuchte kühl und distanziert zu bleiben. Aber es war unsinnig, es begann sofort wieder, dieses süße törichte Spiel, es begann nicht, es ging weiter, so als hätten sie sich vor einer Stunde zuletzt gesehen.
»Hast du lange warten müssen?«
»Zwanzig Minuten. Ich habe mich damit amüsiert, meinen Diplomatenpass einem Polizisten vor die Nase zu halten, der mich verhaften wollte, weil ich falsch geparkt habe. Du siehst bezaubernd aus heute abend. Wie wär's mit einem Drink?«
»Ja, gern«, sagte Judith. »Ich hatte viel Arbeit heute. Und nehmen Sie Ihre Hand weg, Mr. Sverdlov, Intimitäten auf offener Straße sind nicht erlaubt.«
»Alles ist erlaubt in diesem degenerierten Land.«
Er startete, und der Mercedes reihte sich in den lebhaften Abendverkehr ein.
»Nachdem man hierzulande neuerdings auf offener Bühne einen Beischlaf praktiziert, wird es wohl kaum verboten sein, wenn ein ehrlicher Sowjetbürger ein hübsches Mädchen in seinem Auto küssen will.«
»Nein, verboten ist es nicht. Ich wollte es ja auch nur dir verbieten.«
»Das wird dir noch leid tun. Wenn ich mich nun an das Verbot weiterhin halte?«
Sie gingen in eine Bar in der 67. Straße, ein dämmriges kleines Lokal mit winzigen Tischen, im
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