Weißer Mond von Barbados
sie ihm gehörte. Es war ihr schon bei früheren Gelegenheiten aufgefallen. Aber sie empfand es nicht als unangenehm, es war ganz natürlich, es paßte zu ihm, so war seine Art. Sie hatte auch nie den Wunsch, seine Hand abzuschütteln, es wäre ihr lächerlich vorgekommen.
Untergründig, ohne daß sie es sich klarmachte, mochte es ein rein weiblicher Instinkt sein, sich der Führung eines Mannes anzuvertrauen und sich dabei geborgen fühlen. Nur – mußte es eben ein Mann wie dieser sein. Richard Paterson hätte niemals in einem öffentlichen Lokal ihren Arm ergriffen. Er hätte auch niemals auf der Straße einen Arm um ihre Schulter gelegt. Es gab für ihn keine körperliche Berührung außer im Bett. Er war auch niemals mit ihr in eines der eleganten Restaurants gegangen, wie dieses Popotte oder das 21, er hatte immer Angst, sie könnten gesehen werden. Sie trafen sich in unbekannten kleinen Lokalen in Seitenstraßen, und nur ganz selten waren sie in einem Night Club gewesen, und das stets am Montag, an dem man annehmen konnte, in den Lokalen keine Bekannten zu treffen. In den sechs Monaten, die sie mit Richard verbracht hatte, waren sie meist in ihrer Wohnung gewesen.
Sie zündete sich eine Zigarette an und schaute den Tänzern zu. Sverdlov studierte die Weinkarte.
Mit Richard hatte sie nie so entspannt und friedlich irgendwo sitzen können, ohne den Zwang, ihn anzusehen und zu unterhalten. Er verlangte stets ihre volle Aufmerksamkeit, genau genommen erwartete er eine gewisse Zuvorkommenheit, so als sei es eine große Auszeichnung, daß sie bei ihm sein durfte. Wenn er zum Beispiel jetzt die Weinkarte vor sich hätte, dann müßte sie ihn ansehen, ihm zuhören, seine Miene beobachten, ganz auf ihn eingestellt sein. Sie war seine Freundin, seine Geliebte, auch das war eine Auszeichnung, und er hatte erwartet, daß sie diese Rolle so spielte, wie er sich das vorstellte.
Sie hatte gemeint, ihn zu lieben. Und er? War das wirklich Liebe gewesen? Heute glaubte sie nicht mehr daran. Wieso war es mit dem Russen anders? Nun, zunächst einmal deswegen, weil der ganze Mann anders war, selbstsicher, bestimmt, dabei ganz natürlich und ohne Allüren.
Aber ich bin auch anders, dachte Judith. Weil ich unabhängig bin, weil ich nicht seine Geliebte geworden bin. Und das soll so bleiben, ich werde nicht mit ihm schlafen. Noch einmal passiert es mir nicht, daß ich einen Mann liebe und mit ansehen muß, wie sein Interesse an mir immer geringer wird.
Und das geschieht, wenn ich erst einmal ›ja‹ gesagt habe.
Sie wußte, daß sie nicht ganz ehrlich zu sich selbst war. Eben hatte sie ja noch gedacht, daß dieser Mann hier so ganz anders war als Richard. Aber was das betraf – waren da nicht alle Männer gleich? Sie bemühten sich um das, was sie noch nicht hatten. Die Frau, die ihnen gehörte, wurde zur Gewohnheit. Und wurde eine Frau nicht mehr begehrt, dann war sie auch schon so gut wie überflüssig.
Sie war sich bewußt, daß sie ganz altmodische Ansichten vorbrachte, um ihre Standhaftigkeit zu stärken. Denn im Grunde wußte sie ja selbst nicht, wohin diese seltsame Beziehung führen würde, viel zu sehr war sie beteiligt und engagiert, um kühl und sachlich darüber nachzudenken. Es war nicht nur Freundschaft, was sie mit ihm verband. Es war mehr als Freundschaft. Dieser Mann war kein Mann, mit dem eine Frau nur eine Freundschaft haben konnte.
»Hör auf, an diesen langweiligen Engländer zu denken!« Sie blickte auf. Er beobachtete sie, diesmal lächelte er nicht.
»Woher weißt du, daß ich an ihn denke?«
»Als ich dich zum erstenmal sah«, sagte Sverdlov, »machtest du genauso ein Gesicht. Es war kein glückliches Gesicht. Darum weiß ich es. Komm, lass uns tanzen.«
Er war kein besonders guter Tänzer. Gewiß nicht im Sinne moderner Tanzsitten, er machte kein Gehopse, keine Verrenkungen. Er nahm sie fest in die Arme, zu fest, er wollte ihren Körper spüren, das war ihm die Hauptsache. Sie hatten etwa zehn Minuten auf der kleinen Tanzfläche getanzt, als sie hörte, wie er mit jemandem sprach. Ein anderes Paar war es, direkt hinter ihr. Sie verstand nicht, was er sagte, er sprach sehr leise, in einer fremden Sprache.
»Das ist ein Mann aus unserer Botschaft«, erklärte er ihr danach. »Mit seiner Freundin, einer Amerikanerin. Ich habe ihn gebeten, nachher kurz auf einen Drink an unseren Tisch zu kommen. So in einer halben Stunde etwa, wenn wir genug getanzt haben.«
»In einer halben Stunde? Feodor,
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