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Weißer Mond von Barbados

Titel: Weißer Mond von Barbados Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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ihm einen Auftrag gegeben und ich weiß, daß er das bestens erledigen wird. Wenn er kann.«
    Sverdlov lehnte sich zurück, seine Hand spielte mit ihrem Haar. »Da kommt unser Essen. Es ist gut hier. Du wirst sehen.«
    »Womit hast du ihn beauftragt?« fragte sie nach einer Weile.
    Sverdlov aß weiter und gab keine Antwort.
    Judith legte ihre Gabel hin. »Ich weiß, was du jetzt denkst. Ich bin nicht mißtrauisch. Du brauchst es mir nicht zu sagen, wenn du nicht willst.«
    »Du sprichst nicht russisch, du hast uns nicht verstanden. Also könnte ich dir sonst was erzählen, nicht? Aber es handelt sich wirklich um etwas Wichtiges für mich. Er fliegt am Mittwoch nach Russland. Und ich habe ihn gebeten, dort einmal nachzuforschen. Es handelt sich um meinen Sekretär. Während ich in Barbados war, ist er angeblich krank geworden und wurde nach Hause geschickt. Jetzt habe ich eine Aushilfe, die nicht viel taugt.«
    »Er? Du hast einen männlichen Sekretär? Kein Mädchen?«
    »Ich arbeite lieber mit einem Mann. Sie sind zuverlässiger. Jetzt habe ich allerdings ein Mädchen, ein sehr, sehr hübsches sogar.«
    »Du Glücklicher!«
    »Wirklich bildhübsch, mit goldenen Haaren und blauen Augen, wie ein Püppchen sieht sie aus. Bist du nun eifersüchtig?«
    »Nein. Sie ist vermutlich fünfzig, trägt eine riesige Brille und hat einen Hängebusen.«
    »Du bist eifersüchtig«, sagte Sverdlov befriedigt. »Aber du kannst beruhigt sein. Dich mag ich viel lieber. Ich mache mir nicht viel aus Blondinen.«
    Er lächelte und streichelte ihr Knie.
    Das Treffen mit Alexis Memenov war wohl vorbereitet gewesen. Falls sie beobachtet wurden, sah es ganz natürlich aus, wenn er einen jungen Landsmann zu einem Drink einlud. Und natürlich war es eine Lüge, wenn er gesagt hatte, Memenov spreche kein Englisch. Die Wahrheit jedoch war, daß er ihn beauftragt hatte, nach Kalinins Verbleib zu forschen.
    Memenov war einer der jungen Realisten, dessen Ansichten über die Zukunft der Sowjetunion mit denen Sverdlovs übereinstimmten. Er hatte zwei Jahre in New York verbracht und zuvor achtzehn Monate in London, er kannte die westliche Welt und sah sie ohne das Vorurteil und den manchmal blinden Hass, den die älteren Männer aus heißem Krieg und kaltem Krieg zurückbehalten hatten.
    Diese Jungen konnten sich im Westen ungeniert und ohne Misstrauen bewegen und blieben dennoch gute Kommunisten und russische Patrioten. Er konnte mit einem amerikanischen Mädchen schlafen, ohne sich wie ein Verräter vorzukommen. Mit einem Wort, er glaubte an die Koexistenz, er praktizierte sie und war der Meinung, daß der Sowjetsozialismus im Laufe der Zeit ganz von selbst die Oberhand gewinnen würde, ohne Krieg und ohne übertriebene Aktionen. Zwar gehörte Memenov nicht zu Sverdlovs Stab, aber er hatte schon manchmal gewisse delikate Missionen übernommen, die Sverdlov außerhalb seines Arbeitsbereichs abwickeln wollte. Sverdlov wußte, daß er dem Jüngeren vertrauen konnte, es war gegenseitige Sympathie, aber auch gemeinsames politisches Denken, das sie verband.
    Er mußte wissen, was es mit Kalinins Krankheit auf sich hatte. So lange er das nicht wußte, war das wie ein bohrender Zahnschmerz. Er war sich klar darüber, daß Golitsyn ihn hasste, daß der alte Mann ihn beobachtete und auf seine Stunde wartete.
    Ohne Zweifel ließ Golitsyn ihn heimlich bespitzeln in der Hoffnung, eines Tages doch etwas zu entdecken, womit er ihn vernichten konnte. Aber bisher war das immer untergründig geblieben. Doch nun, da Golitsyn ein ›Täubchen‹ auf ihn angesetzt hatte, wurde es gefährlich. Sverdlov hatte früher schon daran gedacht, Golitsyn aus der Botschaft zu entfernen. Aber Golitsyn war so eine Art nationales Monument der Revolution, sein Ansehen in Moskau war immer noch groß, es wäre unklug gewesen, hier auf eine Entscheidung zu drängen. Zudem hatte Sverdlov Selbstvertrauen genug, die Zeit arbeitete für ihn, er war jung, erst neununddreißig Jahre, er konnte abwarten, bis die Alten von selbst abstarben und mit ihnen der alte Hass.
    Aber plötzlich war alles anders. Die Vergangenheit war stärker als die Zukunft. Seit die Führung gewechselt hatte, war die liberale Epoche vorbei. Es wurde so ähnlich wie früher, man spürte das – Sverdlov spürte es. Die Luft wurde zunehmend eisig. Es war wieder kalt.
    Er kannte diese andere, ihm so unverständliche Art von seiner eigenen Frau her. Sie gehörte zu den alten Kämpfern. Anfangs hatte ihm das sogar irgendwie

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