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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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hatte ich Schmuck. Ich war ein Mädchen, das Schmuck besaß.
    Ich probierte Claires doppelreihige Perlenkette vor dem Spiegel an, ließ die glatten, glänzenden Perlen durch meine Finger gleiten, berührte die Verschlussrose aus Koralle. Die Perlen waren nicht wirklich weiß, sie hatten ein warmes Muschelbeige; zwischen den einzelnen Perlen waren kleine Knoten geknüpft, damit man, falls die Schnur riss, nur eine Perle verlor. Ich wünschte, mein Leben könnte auch so sein, sicher verknotet, sodass nicht alles auseinander bricht, wenn eine Sache entzweigeht.
    »Dinner um acht? Das wäre grandios«, sagte ich zu meinem Spiegelbild, wie Katherine Hepburn, die Perlenkette lässig um die Finger geschlungen.
    Claire hatte ein Foto von mir in einem silbernen Rahmen auf ihrer Kommode stehen, direkt neben einem von ihr und Ron. Noch nie hatte jemand ein Foto von mir gerahmt und es sich auf die Kommode gestellt. Ich hob den Saum meines T-Shirts, hauchte auf das Glas des Rahmens und polierte es. Sie hatte es ein paar Wochen zuvor aufgenommen, am Strand. Ich blinzelte in die Kamera und lachte über irgendetwas, was sie gerade gesagt hatte, mein Haar heller als der Sand.
    Das Foto, das ich von ihr gemacht hatte, hatte sie nicht gerahmt: vom Kopf bis zu den Füßen in einen langen Strandumhang gehüllt, mit chinesischem Strohhut und Sonnenbrille. Sie hatte ausgesehen wie der »Unsichtbare«. Sie entkleidete sich nur, um ins Wasser zu gehen, und auch dann watete sie nur bis zu den Oberschenkeln hinein. Sie schwamm nicht gerne.
    »Ich weiß, es ist lächerlich«, sagte sie, »aber ich denke immer, ich werde ins Meer hinausgesogen.«
    Schwimmen war nicht das Einzige, wovor sie Angst hatte.
    Sie hatte Angst vor Spinnen und vor Supermärkten und davor, mit dem Rücken zur Tür zu sitzen. »Ein schlechtes Chi«, sagte sie immer. Sie hasste die Farbe Violett und die Zahlen vier und besonders acht. Sie verabscheute Menschenmengen und unsere neugierige Nachbarin, Mrs. Kromach. Ich hatte eigentlich gedacht, ich wäre schon ziemlich ängstlich, doch Claire war mir um Längen voraus. Sie machte sich über ihre Ängste lustig, doch es war die Art von Scherz, die man macht, wenn man genau weiß, dass andere Leute einen lächerlich finden, und dabei so tut, als finde man seine Sorgen ebenfalls lächerlich, in Wahrheit aber darunter todernst ist. »Schauspieler sind immer abergläubisch«, sagte sie.
    Sie erstellte mein Numeroskop. Ich war eine Fünfzig, was dasselbe war wie eine Zweiunddreißig. Ich hatte die Kraft, die Massen mitzureißen. Sie war eine Sechsunddreißig, was dasselbe war wie eine Siebenundzwanzig, das Zepter. Eine Zahl des Mutes und der Kraft. Vor ihrer Hochzeit war sie eine Zweiundzwanzig, also eine Vier gewesen. Eine sehr schlechte Zahl. »Da kannst du mal sehen – Ron hat mir das Leben gerettet.« Sie lachte verlegen.
    Ich konnte mir kaum vorstellen, je die Kraft oder auch nur die Absicht zu haben, die Massen mitzureißen, doch ich dachte mir, was schadet es schon, wenn es ihr gefällt. Ich half ihr bei ihren Vorhaben, die das gute Chi verstärken sollten. Einmal kauften wir quadratische Spiegel, und ich kletterte tatsächlich auf das Dach unseres Hauses, um sie auf den roten Schindeln zu befestigen, die Mrs. Kromachs Haus gegenüberlagen. »So wird ihr schlechtes Chi auf sie zurückfallen, die alte Hexe!«
    Über dem Aufgang zu unserem Haus bog sich ein Rosenspalier, und sie hatte eine Abneigung gegen Leute, die nicht hindurchgehen wollten. Nur Güte und Liebe können unter einem Rosenbogen hergehen, sagte sie. Sie fühlte sich unbehaglich, wenn jemand das Haus durch die Hintertür betrat. Sie wollte nicht, dass ich Schwarz trug. Als ich das erste Mal Schwarz trug, hatte sie gesagt: »Schwarz ist die Farbe Saturns; er ist Kindern nicht wohlgesinnt.«
    Ich nahm ihre Perlenkette ab und legte sie in das Schmuckkästchen unter den Seidentüchern in der linken oberen Schublade zurück. Sie bewahrte den Großteil ihres Schmuckes in einer Plastiktüte in der Tiefkühltruhe auf, wo sie ihn vor Einbrechern sicher wähnte. Doch die Perlen vertrugen es nicht, eingefroren zu werden, sie mussten im Warmen bleiben.
    In den beiden rechten Schubladen war ihre Seidenwäsche in hellen, gedeckten Farben: Champagner, Muschelpink und Eisblau, Slips und Nachthemden, BH s und passende Höschen. Alles sorgfältig zusammengefaltet und mit Duftsäckchen verstaut. Darunter ordentlich gestapelte T-Shirts, ein Stapel weiß, ein Stapel bunt:

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