Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
Vom Netzwerk:
blassgrün, mauve, taupe. Links Shorts und dünne Pullis. Zuunterst Seidentücher. Ihre Wintersachen lagen zusammengefaltet und luftdicht verpackt in verschließbaren Kleidersäcken im obersten Fach des Wandschranks.
    Dieser Drang nach Ordnung und Ritualen war eines der Dinge, die ich an Claire besonders mochte, ihre festen Kalender und Regeln. Sie wusste genau, wann es Zeit war, die Winterkleidung wegzuräumen. Das gefiel mir.
    Ihr Ordnungssinn, anmutig und ein bisschen verschroben, kleine Geheimnisse, die nur Frauen kannten, Lingerie-Säckchen und farblich passende Wäsche. Sie warf die Unterwäsche, die ich von Starr bekommen hatte und die inzwischen voller Löcher war, weg und kaufte mir in einem Kaufhaus alles neu; dabei diskutierte sie mit der ältlichen Verkäuferin über die Passform der BH s. Ich hätte gern Satin und Spitze genommen, in Schwarz und Smaragdgrün, doch Claire wies meine Vorschläge sanft, aber bestimmt zurück. Ich tat so, als sei sie meine Mutter, und jammerte ein bisschen herum, bevor ich mich schließlich fügte.
    Claire hatte neue Fotos von sich machen lassen, Porträtaufnahmen für ihre Schauspielermappe. Wir fuhren nach Hollywood, um sie in dem Laden auf dem Cahuenga Boulevard abzuholen. Auf Fotos sah sie ganz anders aus, konzentriert, lebhaft. Im wirklichen Leben war sie dünn und verträumt, voller komischer Ecken und Kanten wie eine Mademoiselle von Picasso. Der Fotograf, ein alter Armenier mit einem halb geschlossenen Auge, meinte, ich solle auch Fotos von mir machen lassen. »Sie könnte als Model arbeiten«, sagte er zu Claire. »Ich hab schon schlechtere gesehen.«
    Ich fuhr instinktiv mit der Hand an die Narben auf meinem Kinn. Konnte er denn nicht sehen, wie hässlich ich war?
    Claire lächelte und strich mir über das Haar. »Würdest du das gerne?«
    »Nein«, sagte ich so leise, dass der Fotograf es nicht hören konnte.
    »Wir werden darüber nachdenken«, meinte Claire.
    Auf dem Weg zurück zum Auto in der Hitze eines taubenflügelblassen Nachmittags kamen wir an einem Alt-Hippie vorbei. Grauhaarig, einen grünen Seesack vor die Brust geschnallt, bettelte er die Leute um Geld an. Die Passanten drängten sich an seinem ausgestreckten Pappbecher vorbei und überquerten die Straße. Er war nicht einschüchternd genug für diese Art Arbeit. Ich musste daran denken, wie ich selbst auf dem Parkplatz des Spirituosenladens gebettelt hatte, doch es war nicht das Gleiche gewesen. Ich war kein Alkie, keine Drogenabhängige. Ich war erst fünfzehn. Er hatte es sich selbst eingebrockt.
    »Bitte«, sagte er, »helfen Sie einem armen Mann in Not.«
    Ich wollte schon die Straße überqueren, um dieser Vogelscheuche zu entkommen, doch Claire sah ihn an. Sie brachte es nicht fertig, Leute zu ignorieren.
    »Haben Sie was Kleingeld übrig, Lady? Auch das kleinste bisschen würde helfen.«
    Die Ampel schaltete auf Grün um, doch Claire achtete nicht darauf. Sie kramte in ihrer Handtasche herum und suchte Kleingeld zusammen. Sie würde nie lernen, wie man mit Pennern umging; dass sie sofort an einem klebten wie Rizinussamen, wenn man ihnen auch nur die kleinste Nettigkeit erwies. Claire sah bloß, wie dünn er war, dass er hinkte, weil ihn wahrscheinlich mal ein Auto angefahren hatte, während er an den Ampeln bettelte. Meine Mutter hätte ihm vermutlich angeboten, ihn vor den nächsten Bus zu stoßen, doch Claire hatte Mitleid. Sie glaubte an die Seelengemeinschaft aller Menschen.
    Der Hippie steckte sich das Geld in die Tasche. »Sie sind ein guter Mensch, Lady. Die meisten schauen einem Mann ja nicht mal in die Augen, wenn er ganz unten ist.« Dabei sah er mich anklagend an. »Es ist mir egal, ob mir jemand was gibt oder nicht. Ich will bloß, dass mir die Leute in die Augen sehen, verstehen Sie, was ich meine?«
    »Das verstehe ich«, sagte Claire mit einer Stimme, die nach kühlem Wasser und weichen Händen klang.
    »Ich hab mein ganzes Leben lang hart gearbeitet, doch dann hab ich mir das Kreuz verrenkt, verstehen Sie. Während der Arbeit hab ich nie getrunken. Nie.«
    »Da bin ich sicher.« Die Ampel wurde wieder rot. Am liebsten hätte ich sie auf die belebte Straße gezogen. Überall, wo wir hingingen, erzählten die Leute Claire ihre traurigen Lebensgeschichten. Sie konnten ihr ansehen, dass sie viel zu höflich war, um einfach weiterzugehen. Er kam näher. Wahrscheinlich war sie seit Tagen der erste normale Mensch, der ihm zuhörte.
    »Ich bin bloß schon so lange arbeitslos«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher