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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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senil.«
    »Vielleicht sind es Poltergeister?«, meinte Claire.
    Als Claire zu einem Vorsprechen ging, durchsuchte ich methodisch das ganze Haus. Unter ihrem Bett fand ich eine rot-weiß lackierte Schachtel, die mit Spiegelscherben verziert war. Innen war sie ebenfalls rot lackiert und voll mit den Dingen, die Ron vermisste: ein Taschenmesser, eine Uhr, sein Heftgerät, eine Schere, die Schlüssel, Nagelknipser. Ich fand ein Polaroid-Foto von Ron und Claire, auf dem sie lachten, und zwei Polaroids, die mit den Bildseiten aneinander geklebt waren; ich konnte sie nicht auseinander ziehen. Im Deckel der Schachtel hing ein Magnet, und auf den Boden war eine Stahlplatte geklebt. Ich konnte den Zug des Magneten spüren, als ich den Deckel wieder schloss.

17

    Ende Juni war ich mit dem zehnten Schuljahr fertig. Ich hatte unerwartet gute Noten, bis auf die Gnaden-Vier in Algebra; am Ende der zehnten Klasse wurden nie Fünfen und Sechsen verteilt. Unterstützt durch Claires abendliche Nachhilfe, bekam ich Einsen in Englisch und Geschichte, in Kunstgeschichte und Biologie, ja sogar in Spanisch. Wenn Claire mir vorgeschlagen hätte, Football als Sportkurs zu wählen, hätte ich selbst das gemacht. Um die guten Noten zu feiern, lud Ron uns zu Musso and Frank ein, einem Restaurant direkt am Hollywood Boulevard. Es war mir vorher nie aufgefallen, obwohl es nur ein paar Schritte von dem Apartment entfernt war, in dem ich zuletzt mit meiner Mutter gewohnt hatte.
    Wir parkten im Hof und gingen die Treppe mit dem polierten Messinggeländer hinunter, vorbei an der altmodischen Küche. Wir konnten die Köche bei ihrer Arbeit sehen. Es roch nach Stew oder Hackbraten, so wie Zeit riechen sollte, kräftig und nahrhaft. Wir marschierten hintereinander an der narbigen Holztheke vorbei. Die Leute, gewärmt von der Glut der Grills, aßen Steaks und Koteletts, lasen Variety und ließen sich von älteren Kellnern in grün-roten Jacketts bedienen. Es war, als sei die Zeit 1927 stehen geblieben. Es gefiel mir und gab mir ein sicheres Gefühl.
    Man wies uns einen Tisch im hinteren Raum zu. Ron kannte viele Leute. Er stellte uns vor: »Meine Frau Claire …«, und einen Augenblick lang dachte ich, er würde mich ihnen als seine Tochter vorstellen. Doch er sagte nur: »… und unsere Freundin Astrid.« Ich versuchte den scharfen Stich der Enttäuschung zu verdrängen, indem ich mir sagte, dass Marvel sich gar nicht die Mühe gemacht hätte, mich vorzustellen, und Amelia – nun, bei Amelia konnten wir froh sein, wenn wir überhaupt etwas zu essen bekamen.
    Ich trank meinen Shirley-Temple-Cocktail, und Claire wies mich aufgeregt flüsternd auf die Filmstars im Restaurant hin. Im wirklichen Leben sahen sie nicht besonders glanzvoll aus; kleiner, als man es erwarten würde, aßen sie unauffällig gekleidet zu Abend. Jason Robards und ein anderer Mann saßen schräg gegenüber von uns, zusammen mit zwei gelangweilten Kindern; die Männer unterhielten sich über Geschäftliches, die Kinder drehten Brotkugeln und bewarfen sich damit.
    Claire und Ron teilten sich eine Flasche Wein, und Claire ließ mich von ihrem Glas probieren. Sie berührte Ron in einem fort, sein Haar, seinen Arm, die Schulter. Ich war eifersüchtig. Am liebsten hätte ich sie für mich allein gehabt. Mir war bewusst, dass das nicht normal war; normale Töchter waren nicht eifersüchtig auf ihre Väter. Sie wünschten vielmehr, dass sich beide Elternteile in Luft auflösten.
    Ron griff in seine Tasche und holte etwas heraus, verborgen in seiner glatten Hand. »Für deine tolle Arbeit!«, sagte er.
    Er legte es auf meinen Teller: eine rote Samtschachtel, die wie ein Herz geformt war. Ich öffnete sie. In der Schachtel lag ein geschliffener lavendelfarbener Edelstein an einem Goldkettchen. »Jedes Mädchen braucht ein bisschen Schmuck«, sagte er.
    Claire legte mir die Kette um. »Amethyst hat große Heilkraft«, flüsterte sie mir ins Ohr, während sie das Kettchen verschloss, und küsste mich auf die Wange. »Von jetzt an nur noch gute Zeiten!« Ron beugte sich vor, und ich ließ ihn ebenfalls meine Wange küssen. Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Sie überraschten mich.
    Das Essen kam, und während wir aßen, beobachtete ich die beiden; Claires dunkles, glänzendes Haar, das ihr ins Gesicht fiel, ihre großen, sanften Augen, Rons glattes Männergesicht. Ich stellte mir vor, dass sie wirklich meine Eltern wären. Das Steak und der Wein stiegen mir zu Kopf, und ich

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