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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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und Fleischstücke roch. Ich sah dem Mann dabei zu, wie er die Fleischportionen mit einer Machete auf die Tortillas schabte. Das Essen dort hatte gut geschmeckt.
    Abends spielte Eduardo Gitarre und sang mit den Gästen seines Hotels Zigeunerlieder, während ich, zusammengefaltet wie eine Fledermaus, in meiner Hängematte hin und her schaukelte. Nachts schwirrten überall Fledermäuse umher. Das sei wegen der Früchte, sagte meine Mutter, wegen der Mangos, Plátanos und Papayas. Eine Pilzflechte ließ überall auf meiner Haut kleine Hexenringe entstehen. Ein Arzt in einer Betonklinik gab mir Medizin dagegen. Können wir denn nie nach Hause gehen, fragte ich meine Mutter. Wir haben kein Zuhause, antwortete sie mir. Ich bin dein Zuhause.
    Wie schön sie war, barfuß im Badeanzug, ein Tischtuch um die Hüften geschlungen. Meine Mutter liebte mich. Selbst jetzt konnte ich mich in diese Hängematte zurückversetzen, wie ich hin und her schaukelte, während meine Mutter und Eduardo tanzten. Du warst mein Zuhause.
    Doch das Wetter schlug um, und Eduardo schloss das Hotel für diese Saison und ging zurück nach Mexiko City, wo seine Eltern lebten. Er sagte, wir könnten noch bleiben, wenn wir wollten. Es war traurig und unheimlich. Wir schlossen die Fensterläden. Der Wind begann zu blasen, die friedliche See erhob sich und vertilgte den Strand, fraß sich in die Traubenhyazinthen. Die letzten Touristen waren abgereist. Wir ernährten uns aus Dosen , Frijoles refritos , von Kondensmilch. Streunende abgemagerte Katzen belagerten das Hotel, manche waren erst am Ende der Saison ausgesetzt worden. Meine Mutter ließ sie alle herein. Der Himmel tönte sich gelb wie eine Prellung.
    Als der Regen endlich kam, regnete es waagerecht; Wasser drang durch die Fensterläden und unter den Türen herein. Die Katzen versteckten sich im Halbdunkel. Manchmal spürten wir eine kurze Berührung ihrer Körper, ein Streifen ihres Schwanzes, während wir am Tisch saßen und meine Mutter im Licht einer Kerosinlampe schrieb. Die Katzen hatten Hunger, doch meine Mutter ignorierte ihr Miauen, während wir aßen.
    Schließlich schloss meine Mutter das Hotel ab, und ein paar Studenten nahmen uns mit nach Progreso an der Golfküste. Das Boot aus Texas stank nach Fisch. Der Kapitän gab mir eine Tablette, und ich erwachte auf irgendeiner Couch in Galveston.
    »Wir haben sie«, sagte der Zivilbeamte mit den weißen Socken. »Haben sie erwischt, als sie versucht hat, den Jungen zu sehen. Sagte, sie hätte ihre Schwester besucht. Du weißt doch verdammt gut, dass sie auf dich geschossen hat. Wieso erfindest du dann eine Geschichte über Einbrecher? Sie ist noch nicht mal deine Mutter!«
    An Starrs Stelle hätte ich vielleicht auch auf mich geschossen. Vielleicht hätte ich die Türklinken mit Oleander eingestrichen wie meine Mutter, wenn Ray mir gestanden hätte, mich nicht mehr zu lieben. Es fiel mir schwer, sie auseinander zu halten: Starr in ihrem Nachthemd, meine Mutter in ihrem blauen Kleid. Barry, der ein Tuch gegen meine Stirn presste. Warum erschien mir alles gleich; warum verschmolz alles miteinander wie Wachsmalstifte, wenn man sie an einem Sommertag im Auto vergaß? Der Einzige, der sich deutlich abhob, war Davey. Dieser Polizist verursachte mir Kopfschmerzen; ich brauchte mehr Demerol.
    Briefe von meiner Mutter trafen ein. Ein Mädchen in meinem Alter, eine Krankenhauspraktikantin mit aufgeplusterten braunen Haaren und blassgrünem Lidschatten, versuchte sie mir vorzulesen, doch es war grotesk, die Worte meiner Mutter in seiner hohen, ungebildeten Stimme zu hören. Ich bat es aufzuhören.
    Liebe Astrid,
man hat mir gesagt, dass sie nicht wissen, ob du noch bis zum nächsten Morgen durchhältst. Ich laufe in meiner Zelle auf und ab, drei Schritte hin, drei Schritte her, die ganze Nacht lang. Gerade hat mir der Kaplan einen Besuch abgestattet; ich sagte, dass ich ihm die Leber herausreißen würde, falls er mich noch mal belästigt. Ich liebe dich so sehr, Astrid, ich kann es nicht ertragen. Es gibt auf dieser Welt nur dich und mich – weißt du das denn nicht? Bitte lass mich nicht allein hier. Bei allen Mächten des Lichtes und der Finsternis, bitte, bitte verlass mich nicht!
    Ich las diesen Absatz wieder und wieder und sog dabei genüsslich jedes Wort ein, so wie Starr, wenn sie ihre Bibel gelesen hatte. Während ich in den Schlaf hinüberglitt, klangen mir ihre Worte noch im Kopf. Du warst mein Zuhause, Mutter. Ich hatte kein Zuhause außer

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