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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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einem dauerhaften Demerol-Trip. Das Kleinkind watschelte auf den Sandkasten zu. Ich wäre gern gleichgültig geblieben, doch schließlich stand ich auf, schaufelte die Katzenscheiße mit einem Eimer weg und kippte sie über den Gartenzaun.
    Ed und Marvel Turlock waren meine erste richtige Familie. Wir aßen gegrilltes Hühnchen mit den Fingern und leckten uns hinterher die Barbecue Sauce ab, als wären Messer und Gabel noch nicht erfunden worden. Ed war groß und rotgesichtig, ein ruhiger Typ mit sandfarbenem Haar, das sich bereits stark lichtete. Er arbeitete in der Farbenabteilung eines Baumarkts. Es überraschte mich nicht zu hören, dass sie das Türkis zum Selbstkostenpreis bekommen hatten. Während des gesamten Essens sahen wir fern, alle sprachen, und keiner hörte dem anderen zu. Ich musste an Ray denken, an Starr und daran, wie ich Davey zum letzten Mal gesehen hatte. Felsen und grüner Paloverde , Rotschulterbussarde. Die Schönheit der Steine, der Fluss bei Hochwasser, die Stille. Meine Sehnsucht machte heißer Scham Platz. Erst vierzehn, und ich hatte bereits etwas zerstört, das ich nie mehr wieder gutmachen konnte. Ich hatte nichts Besseres verdient.
    Ich beendete die neunte Klasse auf der Madison Junior High School, hinkte auf meiner Krücke von Klassenzimmer zu Klassenzimmer. Die gebrochene Hüfte heilte allmählich, wenn auch viel langsamer als alles andere. Meine Schulter war schon wieder funktionsfähig, und selbst der Einschuss an der Brust, der mir die Rippe zerschmettert hatte, brannte nicht mehr jedes Mal, wenn ich mich streckte oder bückte. Doch die Hüfte ließ sich Zeit. Ständig kam ich zu spät zum Unterricht. Meine Tage vergingen im Percodan-Nebel. Schulglocken, Pulte, Schlurfen in den nächsten Klassenraum. Die Münder der Lehrer öffneten sich, und heraus flatterten Schmetterlinge, viel zu schnell, um sie einzufangen. Mir gefielen die verschiedenen, sich ständig verändernden Farben der Schülergruppen auf dem Hof, doch ich konnte einen Schüler nicht vom nächsten unterscheiden. Sie waren zu jung und unversehrt, zu selbstsicher. Schmerz war für sie ein Land, von dem sie zwar schon mal gehört hatten, das sie vielleicht mal im Fernsehen gesehen hatten, dessen Stempel sie jedoch noch nicht in ihren Pässen trugen. Wie sollte ich eine Stelle finden, an der sich meine Welt mit ihrer berührte?
    Es dauerte nicht lange, bis mir aufging, welche Rolle mir in dem türkisen Haus zugedacht war: Babysitter, Topfschrubber, Waschfrau und Kosmetikerin. Die letzte dieser Aufgaben fürchtete ich am meisten. Marvel saß dann immer wie eine Kröte unter ihrem Stein im Badezimmer und rief nach mir, genauso gnadenlos, wie Justin sonst nach ihr schrie. Ich versuchte in die innere Emigration zu gehen, indem ich an Gamelan-Orchester dachte, an Meeresgetier in Felsenbecken, ja mich sogar in das Muster der Gardinen verlor und darüber nachdachte, wie die verschiedenen Streifen die Form der Gardinen erschufen, indem sie in eine Richtung flossen oder abbrachen. Ich vermutete, dass darin eine tiefere Bedeutung lag, doch leider hörte sie nicht auf, nach mir zu rufen.
    »Astrid! Verdammt, wo steckt das Mädchen schon wieder?«
    Es hatte keinen Zweck, so zu tun, als ob ich sie nicht hörte. Sie rief so lange weiter, bis ich kam; dabei übertrieb ich mein Hinken so, dass ich ohne weiteres als Draculas Diener in einem Gruselfilm hätte durchgehen können.
    Wenn ich dann endlich bei ihr ankam, war ihr Gesicht rot angelaufen, und sie stemmte die Hände in die Hüften. »Wo zum Teufel hast du gesteckt?«
    Darauf gab ich nie eine Antwort, sondern drehte nur das Wasser auf und prüfte die Temperatur.
    »Nicht zu heiß«, ermahnte sie mich. »Ich hab eine empfindliche Kopfhaut!«
    Ich vergewisserte mich, dass sich das Wasser für mich ein bisschen zu kalt anfühlte, denn das Percodan, das ich rund um die Uhr nahm, hatte mein Temperaturempfinden durcheinander gebracht. Sie kniete sich auf den Badevorleger, hielt den Kopf unter den Wasserhahn, und ich wusch ihr die Haare, die vor Haarspray und Talgresten ganz starr waren. Der Ansatz musste nachgefärbt werden. Sie hatte sich eine Blondtönung ausgesucht, die auf der Packung aussah wie weiches Buttergold, aber auf ihrem Kopf eher an das gelbe Kunstgras erinnerte, mit dem man die Osterkörbe der Kinder auslegt.
    Ich massierte einen Festiger ein, der nach ranzigem Fett roch, spülte das Haar wieder aus und half ihr auf den Hocker, den sie aus der Küche geholt hatte. Dann

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