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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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zusammengesteckt, mal auseinander. Sie sahen aus wie Büßerinnen, die am Fuße des Kreuzes kauern.
    An einem dieser Nachmittage roch ich in der schwülen Luft Marihuana und sah mich auf dem Spielplatz um, um festzustellen, wo es herkam. Drüben beim Parkplatz saß eine Horde Jungen auf einem gelben Auto; die Türen waren geöffnet, und ihre laute Musik durchdrang die Trägheit des Tages. Was hätte ich darum gegeben, high zu sein! Heiter und abgeklärt zu sein statt genervt, boshaft und bereit, Justin mit seiner Schaufel eins über den Kopf zu ziehen, wenn er mir noch ein einziges Mal von einem anderen Gör vorheulte, das Sand nach ihm geworfen oder ihn vom Klettergerüst geschubst hatte. Darin war er gnadenlos, genau wie seine Mutter. Ich versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, dass er erst vier war, doch nach einiger Zeit schien das auch keine ausreichende Entschuldigung zu sein.
    Ich zog den Brief hervor, der an diesem Morgen von meiner Mutter gekommen war, und faltete den liniierten Zettel auseinander. Wenigstens nahm sie jetzt wieder Notiz von mir.
    Liebe Astrid,
war denn Onkel Ernie noch nicht schlimm genug? Nein, du musstest natürlich die verachtungswürdigste aller Kreaturen aufspüren, um dich mit ihr anzufreunden. Lass dich bloß nicht von ihr verführen! Ernie hatte es wenigstens nur auf deinen Körper abgesehen. Wenn du auch nur das kleinste bisschen gesunden Menschenverstand besitzt, FLIEHE vor dieser Frau, wie du einen Fleisch fressenden Virus fliehen würdest! Ja, das Patriarchat hat diese verwerfliche Welt geschaffen, eine Welt der Gefängnisse, Wall Streets und sozialhilfeabhängigen Mütter, aber das sollte man doch nicht noch stillschweigend unterstützen. Meine Güte, die Frau ist eine Prostituierte, was soll sie schon sagen? »Kämpfe für deine Rechte«? Man sollte meinen, dass sie sich als Schwarze erst recht schämen würde, ihrem Herrn die Stiefel zu lecken und zu sagen: »Es ist die Welt der Weißen, mach das Beste draus.« Wäre sie eine Nazikollaborateurin, würde man ihr den Kopf scheren und sie durch die Straßen führen. Eine Frau wie sie ist ein Parasit; sie mästet sich an der Ungerechtigkeit wie eine Zecke an einem Wildschwein. Natürlich erscheint der Zecke die Welt als Wildschweinwelt!
    Man sollte meinen, dass m-e-i-n-e Tochter viel zu intelligent ist, auf so rückständigen Blödsinn hereinzufallen. Besorge dir Germaine Greers »Der weibliche Eunuch«, lies etwas von Ai. Selbst eure beschränkte Vorstadtbibliothek muss doch ein Exemplar von Whitmans »Grashalmen« besitzen.
    Mutter.
    Mutter, die ihre Bücher wie Medizin verschrieb. Eine ordentliche Dosis Whitman würde mich schon kurieren wie Rizinusöl. Aber wenigstens machte sie sich Gedanken um mich. Ich existierte wieder einmal.
    Der Pot-Geruch in der trüben Luft machte mich fast wahnsinnig. Neidisch beobachtete ich die Jungen an dem gelben Auto. Normalerweise hätte ich um solche Typen einen weiten Bogen geschlagen, schlaksige, picklige Kerle, die ihren engen Zusammenhalt durch grobe Bemerkungen dokumentierten und sich ganz besonders toll vorkamen. Mir zeigen wollten, dass ihnen die Welt gehörte. Doch Olivia hätte keine Angst vor ihnen. Sie ließe hier Magie entstehen. Sie wusste, was sie wollten, sie konnte es ihnen geben oder verweigern. Hatte auch ich den nötigen Mut dazu?
    Ich wandte mich an die Mutter, deren Kind gerade mit Justin spielte. »Könnten Sie bitte einen Augenblick auf ihn aufpassen? Ich bin gleich wieder da.«
    »Ich bleib hier sitzen«, seufzte sie und drückte ihre Zigarette im Sand aus.
    Ich trug Caitlin über die Wiese zu der Stelle, wo die Jungen sich um das Auto herumdrückten. Eine Männerwelt. Ich sah mich so, wie sie mich wahrscheinlich sahen, ein hochaufgeschossenes, blasses Mädchen mit langen offenen Haaren, ein schüchternes Lächeln auf den vollen Lippen, nackte Beine in abgeschnittenen Jeanshosen. Ich wuchtete Caitlin höher auf meine Hüfte, während ich näher kam; alle starrten mich an. Ich blickte mich um, um festzustellen, ob Justins Hüterin noch aufpasste. Sie war gerade damit beschäftigt, ihr Kind mit Sonnencreme einzureiben.
    »Kann ich mal ziehen?«, fragte ich. »Ich hab’s dringend nötig, ich muss den ganzen Tag babysitten.«
    Ein Junge, dessen Haut aussah, als sei sie mit einer Käsereibe bearbeitet worden, reichte mir den Joint. »Wir haben dich gesehen, als du gekommen bist«, sagte er. »Ich bin Brian, das sind PJ und Big Al. Und Mr. Natural.« Die Jungen nickten mir

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