Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
Vom Netzwerk:
wohnst immer noch in der gleichen Bruchbude – fährst immer noch die gleiche alte Rostlaube! Was soll das bloß bringen?«
    Linda zog an ihrer Zigarette und fächelte dann den Rauch mit ihren perlmutt lackierten Fingernägeln weg. Sie war blond und hatte die blauen Augen in ständiger Überraschung weit aufgerissen, ihr Lidschatten schimmerte wie das Innere einer Muschelschale. Sie waren alle gemeinsam zur Birmingham High School gegangen, waren Brautjungfern bei den Hochzeiten der jeweils anderen gewesen und verkauften jetzt alle Mary-KayKosmetik.
    Gerade hatten sie sich über den neuen Katalog von Mary Kay ereifert, in dem die Prämien abgebildet waren, die sie gewinnen konnten, sofern sie genügend Mascarastäbe, Konturenstifte und hautstraffende Gesichtsmasken verkauften. »Früher hatten sie Cadillacs!«, meinte Linda verächtlich.
    Marvel trank ihr Sodawasser aus und knallte das Glas auf den Couchtisch. »Nur einmal im Leben möchte ich ein neues Auto haben, verdammt noch mal! Ist das vielleicht zu viel verlangt? Alle haben neue Autos, sogar die Gören auf der High School! Das Flittchen von nebenan fährt eine verdammte Corvette!« Sie hielt mir ihr Glas hin. »Astrid, hol mir noch was Tiki Punch.«
    Auch Debby gab mir ihr Glas. Ich trug die Gläser in die Küche und goss Tiki Punch aus der großen Shasta-Flasche ein, wobei ich mich einen Moment lang in das leuchtende Venusrosa der Flüssigkeit verlor.
    »Astrid«, rief Linda, die im Schneidersitz auf der Blumencouch saß. »Wenn du die Wahl hättest zwischen zwei Wochen Paris, alles inklusive, oder einem Auto …«
    »Einem Scheiß-Buick«, warf Debby ein.
    »Was ist so schlimm an einem Buick?«, meinte Marvel.
    »… was würdest du nehmen?« Linda pulte sich mit einem langen falschen Fingernagel etwas aus dem Augenwinkel.
    Ich brachte die Getränke, wobei ich mühsam das Bedürfnis unterdrückte, theatralisch zu hinken und die missgestaltete Dienerin zu geben, und servierte allen ihre Gläser, ohne etwas zu verschütten. Das konnte doch wohl nicht ihr Ernst sein? Paris? Mein Paris? Elegante Obstgeschäfte und Gitanes ohne Filter, dunkle Wollmäntel, der Bois de Boulogne? »Das Auto«, sagte ich. »Ganz bestimmt.«
    »Kluges Mädchen«, meinte Marvel und prostete mir mit ihrem Glas zu. »Du warst immer schon praktisch veranlagt.«
    »Wisst ihr was – wir sollten Astrid mal schminken«, sagte Debby.
    Drei kreisrunde Augenpaare musterten mich. Es war entnervend. Normalerweise war ich in dem türkisen Haus unsichtbar.
    Sie platzierten mich auf einem Drehstuhl in der Küche. Auf einmal war ich ein geschätzter Gast. Schien mir die verstellbare Lampe zu hell ins Gesicht? Wollte ich etwas zu trinken? Linda drehte mich hin und her. Sie untersuchten meine Poren, prüften meine Haut mit Kosmetiktüchern, um festzustellen, ob sie fettig, trocken oder normal war. Ich genoss es, der Mittelpunkt von so viel Aufmerksamkeit zu sein. Es gab mir das Gefühl, ihnen näher zu stehen. Meine Sommersprossen erregten Besorgnis, dann die Form meiner Stirn. Die Vorzüge verschiedener Grundierungen wurden diskutiert und Proben auf mein Kinn gestrichen.
    »Zu rötlich«, sagte Linda.
    Die anderen nickten weise. Ich hatte Korrekturen nötig. Korrekturen waren wichtig. Tiegel und Tuben mit weißem und braunem Make-up. Alles konnte korrigiert werden. Meine dänische Nase, das eckige Kinn, die dicken Lippen, die keineswegs dem Idealbild entsprachen. Und ich musste an die nackte, kahlköpfige Schaufensterpuppe denken, die ich mal im Fenster eines Kaufhauses gesehen hatte. Zwei Männer waren gerade dabei gewesen, sie anzukleiden; sie hatten gelacht und sich unter ihren warzenlosen Brüsten unterhalten. Einer, so konnte ich mich erinnern, hatte ein Nadelkissen auf seinem kahlrasieren Kopf getragen.
    »Du hast das ideale Gesicht zum Schminken«, sagte Debby, während sie mit einem Schwamm Grundierung auftrug und mich dabei hin und her drehte wie ein Töpfer seinen Ton.
    Natürlich hatte ich das; ich war leer, jeder konnte mich füllen. Ich wartete gespannt darauf, in wen ich mich verwandeln würde, was sie aus meiner herrlichen Leere machen würden. Die Frau in der First Class des Flugzeugs, die die französische Ausgabe der Vogue las und Champagner schlürfte? Catherine Deneuve, die, bewundert von lauter Fremden, ihren Hund im Bois de Boulogne spazieren führte?
    Linda umrahmte meine Augen mit einem Kajalstift, indem sie die Innenseiten der Lider nachzog. Als mir die Tränen kamen, tupfte

Weitere Kostenlose Bücher