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Weißer Schatten

Titel: Weißer Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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aufwacht.«
    »Nein, nein, nein!«, schrie Cobie de Villiers.
    »Schnauze, verdammt«, sagte ich zu ihm und zerrte den Wahnsinnigen mit den gefesselten Händen an den Haaren hinter mir her.
     
    Auf halbem Weg zum Tor, als der Tag am Horizont im Osten heraufdämmerte, sagte Jacobus le Roux mit seiner tollwütigen Stimme:
     »Ich rede.«
    Ich ignorierte ihn und zog fester an seinen Haaren.
    »Ich rede!« Noch schriller.
    »Du lügst, Jacobus.«
    »Nein. Ich schwöre.«
    »Herrgott, ihr Hb-Arschlöcher schwört wirklich gerne. Wieso willst du plötzlich reden?«
    »Weil nur du und ich hier sind.«
    »Du wirst es Emma erzählen.«
    »Nein, bitte nicht vor Emma.«
    »Warum nicht?«
    Er gab einen Laut von sich, ein herzzerreißendes Brüllen, das mich erstarren ließ.
    »Warum nicht vor Emma, Jacobus?«
    »Weil es meine Schuld war.«
    »Was?«
    »Ma und Pa. Meine Schuld.«
    Ich ließ seine Haare los. Er taumelte zurück und fiel auf den Hintern. Sein Kopf sank herunter. In der Morgendämmerung war
     sein Gesicht blutig und geschwollen von meinen Schlägen. Seine Schultern zuckten.
    Cobie de Villiers weinte. Sein Schluchzen war leise, wurde aber immer lauter, bis es aus dem Feld widerhallte. Ich stand bloß
     da, die Glock in der Hand, und sah ihn an, müde und plötzlich voller Mitleid für dieses einsame Menschenwrack.
    Vielleicht würde es ihm guttun zu weinen. Vielleicht würde |336| es seinen Wahnsinn zügeln. Seine Tränen tropften als dunkle Flecken in den Staub.
    Ich stand vor ihm und schob meine Glock in den Gürtel. Ich hielt seine Schulter, wie Stef es getan hatte, und sagte beruhigend:
     »Ganz ruhig, Jacobus, ganz ruhig.«
    Um uns erwachte der Busch. Cobie schaute langsam zu mir auf. Er sah nicht gut aus, aber sein Blick war weniger wild.
    »Kannst du sie wirklich aufhalten?«
    »Ich werde es tun, Cobie. Daran besteht kein Zweifel.«
    Ich konnte sehen, dass er mir nicht glaubte, aber das war ihm jetzt auch egal. Ich löste die Fesseln und rieb seine Handgelenke.
     Er schluckte und atmete dreimal tief durch.
    »Ich
bin
Jacobus le Roux«, sagte er in einem Gefühlsausbruch, als hätte er zwanzig Jahre auf diese Gelegenheit gewartet.
    »Ich weiß«, sagte ich.
    »Und ich vermisse Emma so sehr.«
     
    Die Geschichte von Jacobus le Roux war nicht leicht erzählt.
    Es dauerte fast drei Stunden. Er erzählte abrupt, bemüht, manchmal zusammenhanglos, sodass ich ihn unterbrechen musste. Dann
     und wann brachten die Gefühle ihn zum Schweigen, und ich wartete, bis seine Schultern aufhörten zu zucken. Jedes Mal, wenn
     er vom Weg abkam und sich in Nebensächlichkeiten verlor, musste ich ihn mit äußerster Geduld zu seiner Geschichte zurückbringen.
     Später, als die Sonne aufgegangen war, wurde die Hitze schnell unerträglich. Ich führte ihn in den Schatten eines Baumes.
     Wir brauchten Wasser und Schlaf. Aber jetzt verspürte er den Drang, es sich von der Seele zu reden, und mich verlangte danach,
     alles zu hören, damit die Sache einen Sinn ergab.
    Als Cobie fertig war, als ich meine letzte Frage gestellt und er sie mit heiserer und erschöpfter Stimme beantwortet hatte,
     saßen wir bloß da im Schatten des Dornenbusches wie zwei übernächtigte Boxer. Wir starrten auf das Feld und sagten nichts.
    |337| In diesen zähen Minuten, die nur langsam verstrichen, fragte ich mich, was Jacobus le Roux empfand. Erleichterung, dass er
     nicht länger der Einzige war, der alles wusste? Angst davor, was er in Bewegung gesetzt hatte? Hoffnung, dass es nun enden
     würde, dieser zwanzig Jahre alte Alptraum? Oder Verzweiflung, dass es niemals aufhören würde?
    Ich sah ihn an, die Wunden in seinem Gesicht, die Spuren der Tränen auf seinen Wangen, die hängenden Schultern, und ich dachte
     an das Bild des jungen Jacobus le Roux. Mitleid überkam mich. Wortlos legte ich meine Hand auf seine Schulter, damit er wusste,
     dass er nicht mehr allein war.
    Dann erlaubte ich es dem rotgrauen Nebel der Wut, langsam aufzuziehen, einer Wut auf die Leute, die ihm und Emma das alles
     angetan hatten. Ich musste die Wut kontrollieren, denn ich brauchte einen kühlen Kopf, aber ich musste sie durch mich hindurchfluten
     lassen, um die Erschöpfung zu vertreiben.
    Bevor ich mich erhob, um zu gehen, sagte ich zu Jacobus: »Ich werde es in Ordnung bringen.«
    Er sah mir in die Augen. Sein Blick war leer – kein Wahnsinn, aber auch keine Hoffnung.
     
    Ich setzte mit dem Audi rückwärts aus dem langen Gras, dann fuhr ich davon. Ich hatte Dinge

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