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Weißer Schatten

Titel: Weißer Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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was?«, fragte Emma nach.
    »Das Mädchen«, sagte Moller leise. »Vielleicht hatte es etwas mit dem Mädchen zu tun. Die letzten paar Wochen, bevor er verschwand
     …« Seine Gedanken wanderten, dann riss er sich zusammen. »Da hat er nach Urlaub gefragt. Zum ersten Mal in drei Jahren. Ich
     dachte, er wollte mit ihr irgendwohin, aber dann hat sie ihn eine Weile später gesucht. Wir haben ihn nicht wiedergesehen
     …«
    »Wo ist er hin?«
    »Das hat er mir nicht gesagt. Niemandem hat er etwas gesagt.«
    »Wann war das?«
    |111| »Siebenundneunzig«, sagte er, ohne zu zögern. »August.«
    Emma saß still, als wäre diese Information erhellend. Dann öffnete sie ihre Handtasche und zog einen Stift und ein Blatt Papier
     heraus. Es war der Ausdruck der Website des Mohlolobe Private Game Reserve. Sie drehte ihn um, legte ihn auf den Tisch und
     schrieb etwas auf die Rückseite. Dann schaute sie zu Moller auf.
    »Ich würde gerne mit dem Mädchen sprechen.«
    »Sie hat im Resort gearbeitet.«
    »Wie heißt sie?«
    »Melanie«, sagte er und wählte die afrikaanische Aussprache, mit einem langen »A«. Mit einem Hauch Missbilligung in der Stimme.
     Vielleicht sagte er deswegen anschließend schneller und neutraler: »Melanie Lottering.«
    Emma schrieb auch das auf.
    Moller zwinkerte und sagte bewundernd: »Sie glauben wirklich, dass er Ihr Bruder ist?«
    Ihre Stimme war kaum zu hören, als sie antwortete: »Ja.«
     
    Emma griff nach ihrer Tasche und wollte aufstehen, aber dann hielt sie inne und fragte sehr vorsichtig: »Haben Sie etwas dagegen,
     wenn ich Ihnen eine Frage nach Ihrem Land stelle?«
    Er nickte. »Sie wollen wissen, warum. Sie wollen wissen, was es soll, wenn ich keine Touristen hereinlasse.«
    »O je, fragen das alle …?«
    »Nicht alle – einige. Aber ich verstehe das. Es muss schwierig sein, zu begreifen, warum jemand sich anders verhält als die
     anderen. Die Leute erwarten, dass man Geld ausgibt, um mehr zu verdienen. Man richtet ein Naturschutzgebiet ein, damit andere
     Leute dafür zahlen, es zu besuchen. Wenn man das nicht tut, fragen sich die Leute, was man zu verbergen hat. Das ist ganz
     natürlich.«
    »So habe ich es wirklich nicht gemeint.«
    »Das weiß ich. Doch die meisten Leute denken so. Das ist einer der Gründe, warum ich das Tor am Eingang absperre. Sie sind
     hergekommen und haben Fragen gestellt. Aber die |112| meisten verstanden meine Antworten nicht und sind kopfschüttelnd davongezogen. Oder vielleicht haben sie sie auch verstanden,
     mochten die Antworten aber nicht. Sie wollten das Recht haben, alles zu sehen, es zu genießen, im Reservat herumzufahren und
     ihren Kindern die Tiere zu zeigen.«
    Moller schaute in Richtung Tor und sagte voller Wehmut: »Cobie hat es verstanden. Vollkommen …« Dann sah er wieder Emma an.
     »Aber ich will es Ihnen erklären, dann können Sie sich ihre eigene Meinung bilden.«
    Er zwinkerte und dachte nach. »Noch bis vor zehntausend Jahren waren wir Jäger und Sammler. Wir alle – auf jedem Kontinent
     und jeder Insel. Wir zogen in kleinen Grüppchen herum und suchten nach Nahrung und Wasser. Wir waren Teil des Gleichgewichts
     der Natur. Wir lebten in Einklang mit der Ökologie, im selben Rhythmus. Hunderttausend Jahre lang. Das Prinzip ›Mach Heu,
     wenn die Sonne scheint‹ lag in unseren Genen. Wir genossen den Überfluss, denn wir wussten, dass hungrige Jahre kommen würden.
     Das ist nichts Besonderes, so sind alle Tiere. Als wir herausfanden, wie man Rinder und Ziegen domestizieren kann, und lernten,
     Gras zu säen, änderte sich alles. Wir zogen nicht mehr umher, wir bauten Dörfer. Wir vermehrten uns und säten, und unsere
     Rinder, Schafe und Schweine weideten an einem Ort. Wir lösten uns vom Rhythmus der Natur. Können Sie mir so weit folgen?«
    Emma nickte.
    »Ich sage nicht, dass falsch war, was geschehen ist. Es war unausweichlich, es war Evolution. Aber es hatte enorme Auswirkungen.
     Wissenschaftler sagen, die ersten Gegenden, in denen wir Anbau trieben, befanden sich im mittleren Osten, im fruchtbaren Halbmond
     des Irak im Osten, über Syrien und Israel bis hin zur Türkei. Wenn Sie es sich heute ansehen, ist es schwer zu glauben, dass
     die Gegend als fruchtbarer Halbmond bezeichnet wurde. Dort ist bloß noch Wüste. Aber vor zehntausend Jahren war dort keine
     Wüste. Es war Grasland mit Bäumen, ein moderates Klima, gute Erde. Die meisten Leute glauben, das Klima hätte sich verändert,
     deswegen würde dort |113|

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