Weisser Schrecken
sah sie gefasst an.
Miriam griff sich in den Nacken und löste die Silberkette mit dem Delfinanhänger, den sie gestern hier gefunden hatten. Elke hatte ihn nicht haben wollen, Miriam schon. »Du musst mir dabei helfen, ja?«
»Ich versuche es.«
»Nein, ehrlich. Bei manchen funktioniert Hypnose angeblich nicht«, klärte Miriam ihre Schwester auf. »Du musst dich wirklich fallen lassen.«
»Ich verspreche, ich werde mein Bestes geben«, antwortete Elke. »Ich will das doch auch.« Sie sah sich vorsichtig im Zimmer um. »Spürst du das?«, flüsterte sie.
»Was?«
»Na, dieses Zimmer. Wenn ich in mich hineinlausche, ist mir irgendwie so, als wolle es mir Geschichten erzählen …«
Miriam sah sich ebenfalls um. Sie gruselte sich vor dem Raum und war froh, wenn sie hier wieder raus kam. »Bist du bereit?«, fragte sie. Elke nickte.
»Du musst ganz entspannt sein und darfst möglichst an nichts denken.«
»Klar, nichts einfacher als das«, antwortete Elke sarkastisch.
»Nein, ehrlich. Du musst alles loslassen.« Miriam hob den Delfinanhänger an. »Der Typ im Fernsehen hat auch drauf bestanden.«
»Ist ja gut.« Elke wickelte sich in die alte Decke ein und folgte mit den Augen dem Delphinanhänger, den Miriam jetzt sanft vor ihrem Kopf hin und her pendeln ließ.
Angestrengt versuchte sie sich an den Ablauf der Hypnoseshow in der Fernseh-Sendung zurückzuerinnern. »Entspanne dich«, wisperte sie und war dabei selbst so verkrampft, dass ihr die Finger zitterten. »Deine Gedanken sind wie Wolken, sie ziehen vorbei. Alles ist gut und richtig. Du hörst die Geräusche hier im Raum … . und meine Stimme hier bei dir«, versuchte sie Elke in Trance zu wiegen. »Dein Atem geht ruhig ein und aus … ein … und aus.« Miriam wiederholte die Worte mehrfach und bemühte sich währenddessen, ihre Nervosität in den Griff zu bekommen. Wieso war Elke bloß so cool und sie nicht? Hatte sie denn keine Angst? »Deine Augenlider werden schwerer, vielleicht möchtest du sie schließen … Alles, was du hörst, ist meine Stimme … und du atmest tief und ruhig … tief und ruhig.« Miriams Worte wurden zunehmend zu einem flüsternden Singsang. Elke folgte den Pendelbewegungen, und je länger Miriam sprach, desto mehr verschleierte sich ihr Blick, bis ihre Augenlider sich senkten. Wahnsinn, Elke reagierte tatsächlich auf sie. »Ich werde jetzt von zehn an rückwärts zählen, und dabei wirst du immer müder werden«, ging Miriam jetzt aufs Ganze. Ihre Stimme hatte dabei einen so festen Klang, dass es sie selbst überraschte. »Zehn … Du möchtest schlafen. Tief schlafen. Alles ist gut … Neun … Alles, was du hörst, ist meine Stimme, die dich in den Schlaf begleitet … Acht … Du bist sicher und geborgen. Ich bin bei dir … Sieben … Dein ganzer Körper ist nun entspannt. Du willst schlafen … Sechs … Tief und tiefer schlafen … Fünf … Dein Atem strömt wie von selbst ein und aus … Vier … Deine Augenlider haben sich wie von selbst geschlossen. Drei … Du hörst meine Stimme, es gibt nur noch dich und mich … Zwei … Du schläfst ein … Eins … Du schläfst jetzt tief und fest.« Elke saß regungslos vor ihr und atmete flach. Miriam senkte das Pendel und fuhr mit der Hand ein paar Mal vor Elkes Gesicht hin und her. Sie stupste ihre Schwester sogar leicht an, doch Elke saß mit geschlossenen Augen da und rührte sich nicht. Miriam biss sich vor Aufregung auf die Lippe. Niemals hätte sie gedacht, dass sie das wirklich konnte.
»Wenn du mich verstehst, dann hebe deine rechte Hand.« Ganz langsam, ruckhaft, folgte Elke ihrer Anweisung. »Du kannst die Hand wieder fallen lassen.« Elkes Hand sank schlaff zurück auf ihren Schoß. Gott, sie hatte ihre Schwester wirklich hypnotisiert. Fieberhaft überlegte sie, was sie jetzt tun sollte.
»Wenn du mich hören kannst, dann sag jetzt ›Ja‹«, sprach sie, da ihr nichts anderes einfiel.
»Ja«, wisperte Elke mit geschlossenen Augen. Miriam schluckte. Am besten war es wohl, die Sache vorsichtig anzugehen. »Erinnerst du dich, was wir gestern auf dem zugefrorenen See getan haben, bevor die Jungs kamen?« Elke schaukelte leicht hin und her. »Erinnerst du dich, was wir gestern auf dem zugefrorenen See getan haben, bevor die Jungs kamen?«, wiederholte Miriam ihre Frage. »Antworte mir.«
Elke brummte leise. »Wir waren … Eislaufen. Wir haben einen Schneeengel gemacht …« Ihre Stirn umwölkte sich. »Aber der Schneeengel war … seltsam.« Auch Miriam
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