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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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Leider hatte er keine Zeit für weitere Nachforschungen. Er schloss die Tür wieder und öffnete jene zum Nachbarraum. Die Sakristei. Auch dieser Raum war durchwühlt. Das prächtige Altartuch mit den Darstellungen des Kirchenpatrons lag zerknüllt am Boden, ebenso die Messgewänder Strobels und der Ministranten. Selbst vor den liturgischen Geräten waren die Einbrecher nicht zurückgeschreckt. Leuchter, Hostienschalen, Behältnisse für Messwein, alles lag über den Boden verstreut. Rechter Hand hatten die Eindringlinge sogar einen mittelalterlichen Schnitzaltar von der Wand abgerückt. Andreas näherte sich ihm und entdeckte, dass er nach Art eines Triptychons mit drei Motivtafeln gefertigt war. Sie zeigten drei Frauen in mittelalterlicher Tracht, deren Köpfe von einem Heiligenschein umrahmt wurden. Eine Inschrift am unteren Rand informierte darüber, dass der Altar den drei heiligen Jungfrauen Einbeth, Warbeth und Wilbeth geweiht war. Andreas stieß einen leisen Pfiff aus. Die Namensähnlichkeit zu den drei heidnischen Bethen Ambeth, Borbeth und Wilbeth war so auffällig, dass auch das ganz sicher kein Zufall war. Hatte Strobel hier heimlich Perchta verehrt? Verehrt oder bloß gefürchtet? Er durchschaute Strobels Motive noch immer nicht.
    Unvermittelt trat er auf Etwas, das knisterte. Bonbonpapier. Andreas hob es auf und betrachtete es. Irgendwo hatte er so ein Papier schon einmal gesehen, nur wo? Achtlos ließ er den Fund wieder fallen. Längst hatte ein mittelalterlicher und prächtig mit Nikolausmotiven bemalter Eichenschrank in der hinteren Raumecke sein Interesse geweckt. Er besaß Ähnlichkeit mit dem Kasten einer Standuhr, nur, dass er bis fast unter die Decke der Sakristei reichte. Auffallend war neben den christlichen Motiven das massive Schloss, das im Gegensatz zum Rest des Schranks relativ modern wirkte. Der oder die Unbekannte war auch ihm rücksichtslos mit einem Brecheisen zu Leibe gerückt. Andreas klappte die quietschende Tür auf und fand darin nur Leere vor. Zwei übereinander angebrachte Eisenklammern an der Schrankinnenwand machten jedoch deutlich, dass hier ein ebenso schlanker wie hoher Gegenstand verwahrt worden war. Natürlich! Andreas trat einen Schritt zurück und prüfte seine Theorie. Hatte Frau Neuleitner nicht behauptet, dass die Mönche des Klosters einst einen Bischofsstab aus Holunderholz gehütet hatten? Was, wenn dieser Stab noch existierte? Nur war der Schrank leer. Andreas überblickte die entweihte Sakristei noch einmal und trat den Rückzug an.
    Er öffnete die letzte Gangtür und gelangte so endlich in das Untergeschoss des Kirchturms. Im Raum war es kalt und dunkel. Ein leichter Windzug strich über sein Gesicht. Andreas kramte seine Taschenlampe aus der Jacke und knipste sie an. Die Batterien hatten sich zum Glück etwas erholt. Dennoch wurde es Zeit, dass er sie austauschte. Er leuchtete nach oben und der Lichtstrahl fiel auf eine alte Holztreppe, die spiralförmig den Turm hinaufführte. Die erste Zwischendecke, gute vier Schritte über ihm, wies in der Mitte ein Loch auf, durch das ein langer Strick bis zu ihm nach unten baumelte. Meine Güte, Strobel hatte die Kirchenglocke dort oben doch nicht etwa eigenhändig bedient? Zögernd setzte er seinen Fuß auf die Stufen und trat den beschwerlichen Marsch nach oben an. Die Stufen knarrten und er fand heraus, dass die Zwischengeschosse des Turms mit alten Möbelstücken gefüllt waren, die jemand mit weißen Tüchern abgedeckt hatte. Je höher er kam, desto intensiver wurde der Geruch nach Staub und altem Holz. Seine Oberschenkel schmerzten, als er endlich das oberste Turmgeschoss erreichte, in dem von dicken Balken die Kirchenglocke Perchtals samt Seilzug herabhing. Der Wind pfiff durch die vier schmalen Fensteröffnungen in den Turmwänden. Da die Sonne längst hinter den Bergen verschwunden war, ließ er den Schein seiner Taschenlampe über die Glocke wandern. Das gute Stück war inklusive des Klöppels fast so groß wie Niklas und bestand zur Gänze aus nachgedunkelter Bronze. Direkt unter der Aufhängung, eingebettet von zwei umlaufenden Zierstegen, schmückte ein rundum laufendes, figürliches Relief die Glocke, das die verschiedenen Wundertaten des heiligen Nikolaus von Myra darstellte. Ein Meisterwerk der Glockengießerkunst. Doch was jetzt? Sollte er es tatsächlich wagen, die alte Klosterglocke zu läuten? War es das, was diese Geister von ihnen wollten? Zweifelnd umrundete er den hölzernen Steg, als er sah,

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