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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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hätte am liebsten einen lauten Jubelschrei ausgestoßen. Er zwängte sich zwischen Außenwand und Schreibtisch und fischte angestrengt nach einem der alten Schriftstücke. Aufgewühlt hielt er den Band in den Schein der Straßenlaterne. Das Buch war nicht allzu dick und besaß einen grau marmorierten Einband mit schwarzem Lederbesatz, der den Schriftzug Catalogus Scriptorum De Druidis trug. Niklas beförderte weitere Bücher aus dem Geheimfach ins Freie und fand Titel wie Theologia veterum Gallorum und Historia veterum academiarum Galliae druidicarutn. Allesamt waren diese Bücher auf Latein abgefasst. Niklas blätterte sie trotz der schlechten Sichtverhältnisse durch und fand in einigen von ihnen romantisch verklärte Bildtafeln von Männern und Frauen in langen Gewändern, die Mistelzweige schnitten und unbekannte Zeremonien durchführten. Niklas brauchte die Buchtitel nicht zu übersetzen, um zu wissen, mit welcher Personengruppe sich all diese Bücher beschäftigten: mit den Druiden! So lautete der Namen jener keltischen Priester, die seine Freunde sicher nur aus den Asterix und Obelix Comics kannten.
    Eines der Bücher wies am Rand schriftliche Kommentare auf, die in dem spärlichen Licht kaum zu lesen waren. Er rückte seine Brille zurecht und versuchte sie trotzdem zu entziffern. Offenbar waren diese Druiden weit mehr gewesen, als bloße Priester im heutigen Sinne. Sie schienen bei den Kelten im Rang von Adligen gestanden zu haben, die auch Recht sprachen. Und nicht nur das. Die Kommentare ergänzten den lateinischen Text und verwiesen auf andere Werke, in denen behauptet wurde, dass es den Römern nie gelungen sei, die Druiden als Elite des Keltenvolkes auszulöschen. Angeblich gäbe es in Irland Hinweise darauf, dass sich die Druiden den neuen Verhältnissen angepasst und nach der Christianisierung sogar Bischofsämter ausgeübt hatten.
    Erstaunt sah Niklas auf. Hatten diese Druiden tatsächlich überlebt und bis heute Teile der Kirche unterwandert? Das würde vieles von dem erklären, was hier geschah. Sein Magen grummelte. Zufrieden mit sich und seiner Entdeckung kramte Niklas den Stutenkerl hervor, den er all die Zeit über standhaft unter seiner Jacke verwahrt hatte und biss ihm hungrig den Lebkuchenkopf ab. Waren die Strobels gar selbst Nachfahren dieser Keltenpriester gewesen? Oder hatten sie sich vielleicht dafür gehalten? Das wäre in der Tat ungeheuerlich. Mann, war der Stutenkerl lecker. Er biss abermals zu, als ihm auffiel, dass das Gebäck ungewöhnlich saftig war. So saftig, dass Flüssigkeit auf den Tisch tropfte. Niklas hielt mit Kauen inne und riss die Augen auf. Vor ihm auf dem Tisch breitete sich im schalen Laternenlicht eine rote Lache aus. Entgeistert starrte er den Torso des Lebkuchenmannes an. Aus der Bissstelle spritzte und pulste es nun, wie bei einem Enthaupteten. Das war Blut! Niklas spuckte den blutigen Lebkuchenbrei entsetzt aus, warf den Stutenkerl in eine Zimmerecke und erbrach sich neben dem Tisch. Was geschah hier? Würgend und spuckend sah er wieder zur Tischfläche auf, doch die war jetzt wieder rein. Einzig ein paar Krümel neben den Büchern zeugten davon, wo eben noch diese unheimliche Blutlache gewesen war. Niklas griff sich an den Hals. Wurde er jetzt ebenfalls verrückt?
    In diesem Augenblick bemerkte er durch das Fenster hindurch eine Bewegung. Oh nein, da kamen Leute auf das Pfarrhaus zu. Hektisch wischte er sich noch einmal über den Mund, sammelte die Bücher auf dem Tisch ein und rannte mit dem Stapel in den Hausflur. Wo sollte er hin? Vor der Eingangstür ertönten bereits Stiefelschritte und so presste sich Niklas hinter die Gangecke. Jemand rüttelte an der Klinke, kurz darauf warfen sich mehrere Gestalten mit der Schulter gegen die Wohnungstür, die krachend aufbrach.
    »War bei Hochwürdens Leichnam wirklich kein Schlüssel zu finden?«, polterte die Stimme von Herrn Bierbichler.
    »Teufel noch mal, Josef, sei doch still!«, zischte eine zweite Stimme, die seinem Vater gehörte. Niklas versteifte sich vor Schrecken. »Willst du, dass die Buben uns noch hören?« Starr vor Angst wich Niklas weiter an der Flurwand zurück.
    »Wenn sie überhaupt hier sind?«, brummte Josef Bierbichler.
    »Sicher sind sie das«, korrigierte ihn eine dritte Stimme, die Niklas als die von Bürgermeister Schober identifizierte. »Zumindest wenn der Bub nicht gelogen hat. Jedenfalls führten die Spuren vor dem Museum direkt bis zum Kirchengelände. Sie müssen hier irgendwo

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