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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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runter.«
    Die Luft im Berg war kalt und roch nach altem Stein und Holz. Andreas zwängte sich an den Stützbalken vorbei und vernahm hinter sich die keuchenden Atemgeräusche seiner vier Freunde. Überall im Gang lag Geröll herum, von dem er annahm, das es von der Sprengung stammte. Dort, wo der Lichtkegel seiner Lampe über die Schachtwände strich, zeichneten sich Schrämspuren ab, die auf den Gebrauch alter Meißel und Hacken schließen ließen. Dabei fiel der Stollen immer tiefer ab und er musste an manchen Stellen aufpassen, nicht auszurutschen. Wie alt mochte diese Anlage sein? Andreas kletterte weiter in den Berg hinein und musste immer wieder seinen Kopf einziehen, um sich nicht an der niedrigen Gangdecke zu stoßen. Langsam machte sich bei ihm Platzangst bemerkbar. Besser, er dachte nicht darüber nach, wie viel Tonnen Gestein auf den Stützbalken lasteten. Er wusste nicht, wie lange er sich schon so abmühte, als sich der Stollen weitete und einer dunklen Höhlung Platz schuf, die die Ausmaße des niedergebrannten Bootshauses hatte. Die Decke der in den Berg getriebenen Kammer spannte sich gute drei Schritte über seinem Kopf auf und der Lichtstrahl seiner Taschenlampe wanderte über eine alte Abraumhalde, deren Gestein hell funkelte. Auch die Wände um ihn herum schimmerten weiß. Er machte Platz, so dass auch seine Freunde die Kammer betreten konnten.
    »Mann, das muss Steinsalz sein«, wisperte Niklas. »Es ist so unglaublich rein.«
    »Na, und?«, kommentierte Robert die Feststellung.
    »Das ist etwas Besonderes. Wirklich.« Er sah sich ehrfürchtig um. »Hier in Berchtesgaden haben sie wie fast überall im deutschen Raum Salz vor allem dadurch gewonnen, indem Sinkwerke errichtet wurden. Jahrhunderte lang hat man Wasser in die Berge gepumpt, um das Salz so aus dem Gestein zu lösen. Die dadurch gewonnene Sole haben sie dann auf großen Pfannen eingekocht. Oder sie haben es zu Salzwerken geschafft, bevor man sie weiter verarbeitete.« Niklas rückte seine Brille zurecht und sah sie an. »Die müssen das Zeug hier damals im Trockenabbau gefördert haben. Versteht ihr? Wir sind hier keine 20 Meter unter der Erde. Eine solche Fundstätte gibt man doch nicht einfach auf. Jedenfalls nicht ohne triftigen Anlass.« Andreas atmete tief ein. »Ein Grund mehr vorsichtig zu sein.« Er setzte seinen Fuß zwischen das Gestein und leuchtete die Höhle nach weiterführenden Gängen ab, als Miriam auf sich aufmerksam machte. »Leute, das hier ist nicht einfach nur Salz. Seht ihr nicht, wie das Gestein glänzt?« Sie bückte sich und zog ihren Handschuh aus. »Auf den Brocken liegt eine hauchdünne Eisschicht.«
    »War ja zu erwarten«, seufzte Andreas. Gemeinsam mit Elke kämpfte er sich durch die Kammer und im Licht ihrer Lampen entdeckten sie zwei weiterführende Schächte, die beide sorgfältig gegen den Bruch der überlagernden Decke mit Auszimmerung geschützt waren. Das Holz war dunkel und schien ebenso wie die Stützbalken weiter hinten hunderte von Jahren alt zu sein. »Und wohin jetzt?«, fragte Elke leise.
    »Ich vermute da lang!« Andreas wies auf eine Markierung aus rotweißem Absperrband, das jemand im Schacht zu ihrer Rechten ins Gestein geklemmt hatte. »Offenbar hat sich Köhler so den Rückweg markiert.«
    Er nahm Elke bei der Hand und sie marschierten gemeinsam den Stollen weiter entlang. Abermals musste Andreas seinen Kopf einziehen, um sich an der niedrigen Gangdecke nicht zu stoßen. Sie kamen an weiteren Markierungen vorbei, kreuzten Felskammern und stießen hin und wieder auf Schlägel, Steinbeile und altertümliche Grubenlampen. Abgesehen von dem Bauholz, mit dem die Schächte ausgekleidet waren, waren dies die ersten Zeugnisse der Erbauer dieser Anlage. Die Funde erinnerten Andreas an die Schaustücke im Museum. Offenbar blickte dieses Bergwerk auf eine ältere Geschichte zurück, als sie dachten. Stammte es gar aus der Zeit der Kelten? In der Ferne glaubte er unvermittelt ein leises Glucksen oder Plätschern hören zu können, wie von einem unterirdischen Wasserlauf. Doch je tiefer sie durch die Stollen in den Berg vordrangen, desto kälter wurde es, auch wenn Niklas standhaft behauptete, dass eigentlich das Gegenteil eintreten müsse. Manche der Höhlen waren nun komplett mit einer blütenweißen Schicht aus Raureif bedeckt, in anderen hingen sogar spitze Eiszapfen von der Decke. »Scheiße, als ob wir einen riesigen Kühlschrank durchqueren würden«, fluchte Robert hinter ihm.

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