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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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Beine.
    »Geht es euch gut, meine Engel?«
    »Ja. Keine Ahnung, warum die plötzlich so ausgerastet sind«, klagte Miriam.
    Elke hingegen rieb sich verärgert die Arme. »Diese Typen sind echt gemeingefährlich. Denen muss mal jemand zeigen, wo es lang geht!«
    »Ich werde ein ernstes Wort mit ihren Eltern reden«, antwortete Strobel und nahm Niklas die schief sitzende Brille von der Nase, um sie zurechtzubiegen. Ausdruckslos setzte er ihm das Gestell wieder auf. »Gut so?«
    Niklas nickte zaghaft. Dass die Mädchen sich bei der Auseinandersetzung besser geschlagen hatte, als er selbst, war ihm zutiefst peinlich.
    »Was macht ihr drei eigentlich hier?« Die Freunde schwiegen. Strobel spannte sich unmerklich. »Ihr müsst nichts sagen, ich ahne schon, warum. Ihr seid wegen der Toten hier, richtig?« Er sah sich misstrauisch zur Leichenhalle um.
    »Wir haben gestern mitbekommen, dass Sie und Doktor Bayer bei uns waren«, erklärte Elke hastig. »Ist die Tote wirklich unsere Schwester?«
    Miriam wollte etwas hinzufügen, doch Niklas sah, dass Elke rasch nach ihrer Hand fasste. Miriam klappte den Mund wieder zu. Der Pfarrer fixierte die Schwestern argwöhnisch und musterte auch Niklas von oben bis unten. »Natürlich … Ihr dürftet gestern Nacht ja kaum ein Auge zubekommen haben. Was haben euch eure Eltern denn erzählt?«
    »Nichts! Das ist es ja gerade.« Elke richtete das blonde Haar unter ihrer Mütze. »Offiziell wissen wir überhaupt nicht, dass wir eine Schwester haben.«
    »Soso.« Strobel räusperte sich, und Niklas konnte förmlich sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. »Was haltet ihr davon, wenn wir in die Kirche gehen? Dort ist es etwas wärmer.« Ohne eine Antwort abzuwarten, stapfte er voraus. Niklas und die Mädchen folgten ihm. Niklas wollte etwas sagen, doch Elke legte rasch einen Finger an die Lippen.
    »Nicht. Lasst mich reden.«
    Der Geruch von altem Holz und Weihrauch schlug Elke entgegen, als sie an der Seite von Miriam und Niklas die Kirche Perchtals betrat. Das Gotteshaus war im romanischen Stil erbaut worden, mit dicken Mauern, Rundbögen und einem schmucklosen Kreuzgratgewölbe, das die vielen Holzbänke rechter und linker Hand bis zum Chorgestühl mit dem prachtvollen Altar überspannte. Zwei längs laufende Säulenreihen trennten die Seitenschiffe von der Halle ab, und durch die bunten Spitzbogenfenster mit ihren christlichen Motiven fiel diffuses Licht auf den Altar samt dem prachtvoll beschnitzten Schrein. Elke wusste von ihrem Vater, dass sich darin eine Reliquie des heiligen Nikolaus von Myra befand. Dabei handelte es sich um ein Mannafläschchen mit dem geweihten Oleum San Nicolai, eine wasserklare Flüssigkeit, die am Marmorsarkophag in Bari gesammelt worden war, der angeblich die sterblichen Überreste des Heiligen enthielt. Die Vorstellung, dass es sich dabei womöglich um Leichenflüssigkeit handelte, hatte sie schon immer gruselig gefunden. Doch es passte an diesen Ort. Die Kirche Perchtals trug schließlich sogar den Namen des heiligen Nikolaus. Darstellungen des Bischofs fanden sich als Glasmalereien sowohl oben auf den Kirchenfenstern als auch weiter hinten in Nischen nahe dem Taufbecken.
    Strobel bat die Jugendlichen mit umständlicher Geste im Gestühl unter der Orgelempore Platz zu nehmen, er selbst setzte sich eine Bankreihe vor sie. Seine Stimme hallte leicht. »Ich wusste, dass irgendwann der Zeitpunkt kommen würde, da ihr von eurer Schwester erfahren würdet. Und, äh, eure Eltern haben euch wirklich nichts erzählt?«
    »Nein«, antwortete Elke mit Unschuldsmiene. »Dabei gehört sie doch zu unserer Familie.« Ihr Misstrauen war geweckt. Sie hatten zwei Schwestern gehabt. Strobel musste das ebenfalls wissen. Wieso versuchte er sie im Glauben zu lassen, es gäbe nur Anna?
    »Ja, da hast du natürlich recht, mein Engel. Nun, ich befürchte, ihr müsst nicht euren Eltern, sondern mir die Schuld an der Sache geben.« Strobel seufzte, doch Elke fühlte, dass sein Gebaren gespielt war. »Der Tod gehört immerhin zum Leben, so wie die Geburt, die am Anfang unseres Seins steht. Wie aber spricht man mit Kindern über den Tod, der so jäh über einen jeden von uns hereinbrechen kann?« Er nestelte an seinem Stehkragen. »Auch eure Eltern standen vor diesem Problem. Schon vor Jahren wandten sie sich an mich und baten mich um Rat. Sie fragten sich, wie sie euch von eurer Schwester erzählen sollten, ohne eure zarten Seelen zu verängstigen. Selbst viele Erwachsene wissen

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