Weisser Schrecken
soll uns das alles nicht einfach nur auf das Jahr ihres Verschwindens hinweisen, sondern ganz konkret auf ihren Todestag? Auch wenn mich die Vorstellung von Toten, die mit uns Kontakt aufzunehmen versuchen, echt graust.«
»Die Glasmalereien auf den Kirchenfenstern sind alle viel älter«, warf Niklas skeptisch ein. »Und die vielen Jugendlichen in diesen Gräbern erklärt das auch nicht.«
»Vielleicht müssen wir das alles eher als Symbol verstehen?«, schlug Elke vor. »Tod und Nikolaus. Egal, was wir bisher erlebt haben, diese Botschaften wiederholen sich ständig. Ich finde, Andy hat recht. Morgen ist immerhin schon wieder der sechste Dezember. Das können wir nicht einfach ignorieren.«
»Ist euch eigentlich klar, dass der Tag, an dem wir Nikolaus feiern, ganz schön unheimlich ist?«, fragte Miriam in die nachfolgende Stille hinein.
»Wieso?« Robert sah auf.
»Na, überlegt doch. Der sechste Dezember. Macht einmal die Sechs für den Tag und dann zweimal die Sechs für den zwölften Monat. Verstehst du? Sechshundertsechsundsechzig – das ist die Zahl des Tieres aus der Offenbarung des Johannes. Die Zahl des Teufels!«
»Miriam, jetzt fängst du echt an zu spinnen.« Robert schüttelte den Kopf.
»Ach ja!? Und wenn nicht?« Miriam strich sich wütend die Haare hinter die Ohren. »Auf jeden Fall kann keiner von euch abstreiten, dass hier tatsächlich was nicht stimmt. Lasst uns lieber überlegen, ob der eine oder andere von uns noch weitere Dinge erlebt hat, die er sich nicht richtig erklären kann? Etwas, dass ihr bis jetzt für unwichtig gehalten habt? Alles kann wichtig sein.« Die Freunde sahen sich fragend an.
»Naja.« Andreas rieb sich die Nase. »Diesen Spuren im Schnee auf dem Sägewerk, die uns zum Fahrradkeller geführt haben, waren schon recht merkwürdig.«
»Könnte aber auch von Konrad oder einem der Arbeiter stammen«, meinte Robert.
»Ja, aber ehrlich gesagt zweifle ich inzwischen daran.« Andreas seufzte. »Vor allem, wenn ich an diese unheimliche Botschaft zurückdenke, gestern auf den Fensterscheiben im Wohnzimmer.« Er berichtete in knappen Worten, was er dort nach dem Aufstehen entdeckt hatte.
»Was? Da stand ›Du bist tot‹?« Elke riss schockiert die Augen auf. »Warum hast du davon nichts erzählt?«
»Weil ich das ehrlich gesagt schon fast vergessen hatte«, antwortete Andreas gereizt. »Ich dachte, Konrad wäre bei uns eingebrochen.«
»Da sind noch zwei Dinge«, erklärte Niklas tonlos. »Erinnert ihr euch an gestern Nacht? Die Sache mit dem Marzipan-Nikolaus im Schaufenster der Bäckerei? Das war auch ganz schön seltsam.« Robert erklärte den Mädchen mit knappen Worten, was sich ereignet hatte. »Und da war noch etwas«, fuhr Niklas aufgewühlt fort. »Bei mir im Zimmer lagen gestern andauernd aufgeschlagene Bücher rum, die ich da nie hingelegt hatte. Ehrlich.« Andreas, der eines der Bücher in der Hand gehalten hatte, war überrascht, als Niklas sie über den Inhalt der Bände aufklärte.
»Hagen von Troje? Brutus und Cassius? Und dann Judas?« Miriam runzelte pikiert die Stirn. »Als ob wir vor einer Intrige, einer Täuschung oder einem Verrat gewarnt werden sollen.«
»Ja, eine Täuschung, in der unsere Eltern offenbar die Hauptrolle spielen«, sprach Andreas das aus, was alle dachten.
»So oder so, wir dürfen hier nicht weiter rumsitzen«, schnaubte Elke. »Miriam und ich haben uns überlegt … ob es nicht sinnvoll sein könnte, wenn auch wir versuchen, mit unseren toten Geschwistern in Kontakt zu treten.«
»Wie bitte?« Andreas Kopf ruckte hoch, und Elke fuhr hastig fort. »Ich weiß, so etwas soll man ja eigentlich nicht tun. Aber …«, sie biss sich auf die Unterlippe. »Habt ihr schon einmal von diesen Quija-Brettern gehört?«
»Was für Dinger?«
»Auch das noch«, brummte Robert. »Man nennt sie auch Hexenbretter oder Alphabettafeln. Hast du noch nie vom Gläserrücken gehört?«
»Doch«, meinte Andreas.
»Genau das ist es. Diese Hexenbretter werden von Spiritisten benutzt, um mit der Geisterwelt Kontakt aufzunehmen. Man schreibt auf sie die Buchstaben des Alphabets. Man kann aber auch Worte wie ›Ja‹, ›Nein‹ oder ›Ende‹ draufsetzen.«
»Wir haben vor ein paar Jahren mal davon gelesen«, nahm Elke den Faden auf. »Man braucht jetzt bloß noch eine Art Zeiger, auf denen alle, die bei einer Geisterbefragung teilnehmen, ihre Finger legen. Das kann tatsächlich ein Wasserglas sein. Man fragt die Geister und wartet, bis sich das
Weitere Kostenlose Bücher