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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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eine Antwort einfiel. Wenn Köhler heraus bekam, dass er schon wieder zum Vereinsheim wollte, dann würde er ihm nur blöde Fragen stellen. In diesem Augenblick fiel sein Blick auf den zugeschneiten, gelben Briefkasten am Ende der Straße. »Mein Vater hat mich wegen eines Briefs losgeschickt«, antwortete er, weil ihm nichts Besseres einfiel.
    »Und da schickt er dich hierher?« Roman Köhler sah ihn verärgert an und zog einen aufgerissenen Briefumschlag aus seiner Lederjacke. »Richte deinem Herrn Vater aus, dass er mir ruhig etwas mehr Zeit lassen darf. Immerhin ist sein Schrieb erst vorgestern angekommen. Sag ihm, dass ich nicht vorhabe, für den Einbau neuer Fenster eine Mieterhöhung zu akzeptieren. Ich hab mich ja schon auf eine Staffelmiete eingelassen, da ist so etwas mit drin. Außerdem trage ich mich eh mit dem Gedanken, mir eine neue Bleibe zu suchen.« Niklas starrte den Lehrer überrumpelt an »Alles in Ordnung, Junge?«
    »Äh, ja«, haspelte Niklas und deutete in Richtung Postkasten. »Es ging eigentlich um einen anderen Brief.« Dass seinem Vater hier in Perchtal noch andere Wohnungen gehörten, wusste er. Nicht aber, dass Roman Köhler zu seinen Mietern zählte.
    »Ich hab mich schon gewundert.« Der Sport- und Geschichtslehrer trat vor ihn und legte eine Hand auf seine Schultern. »Du bist wegen gestern immer noch etwas neben der Spur, was?« Niklas zuckte mit den Schultern. »Du weißt, du kannst jederzeit mit mir reden, wenn du willst.« Köhler spähte die Straße hinunter. »Sag mal, dieses tote Mädchen gestern im See. Hier im Ort geht das Gerücht um, dass es sich um eine ältere Schwester von Elke und Miriam gehandelt haben könnte. Ich war schon bei Bürgermeister Schober. Aber der hält sich bedeckt. Weißt du etwas darüber? Du bist doch mit den beiden Mädchen befreundet.«
    »Nein, aber …«
    »Aber?«
    Niklas rang mit sich, wie viel er preisgeben durfte. Köhler war immerhin ihr Vertrauenslehrer.
    »Sag schon, Niklas. Irgendetwas bedrückt dich doch?«
    »Ich glaube, Pfarrer Strobel weiß mehr darüber, als er zugeben will«, presste Niklas hervor. Es erleichterte ihn, seine Vorbehalte gegen den Seelsorger mit einem Erwachsenen zu teilen.
    Auch wenn das nur ein Teil der Wahrheit war. »Jedenfalls hat der so etwas angedeutet.«
    »Strobel? Aber ja, natürlich …« Köhler zog seine Hand zurück und spähte nachdenklich in Richtung Kirchturm.
    »Morgen will er mit uns eine Nachtwanderung machen und uns, also Elke und Miriam, mehr über die Tote erzählen. Aber eigentlich wollen wir das gar nicht. Also nachts mit ihm raus. Der darf uns doch nicht zwingen, oder?«
    »Nein, Niklas. Das darf er nicht.« Köhler sah ihn schräg an. »Wohin will er denn mit euch gehen?«
    »Wissen wir nicht.«
    »Und eure Eltern? Sind die informiert?«
    »Ja, er hat schon mit ihnen geredet. Aber er ist ja der Pfarrer.«
    »Verstehe.« Köhler mahlte mit den Zähnen. »Ich würde vorschlagen, ihr sagt ihnen klipp und klar, dass ihr nicht mit wollt. Und wenn das nicht hilft, dann kommt ihr noch einmal bei mir vorbei, in Ordnung?«
    Niklas nickte erleichtert. »Und die Wohnung, in der Sie leben, gehört tatsächlich meinem Vater?«, wechselte er das Thema.
    »Ja, gehört sie.« Köhler wickelte einen Bonbon aus und schob ihn sich geistesabwesend in den Mund. »Soweit ich weiß, hat deine Familie hier selbst noch bis Anfang der Achtziger gelebt. Offenbar bevor ihr in das Haus gegenüber eurer Bäckerei gezogen seid.«
    »Echt?« Niklas sah erstaunt zu der Hauszeile neben sich auf.
    »Ist für deinen Vater ja auch viel näher am Betrieb. Na, egal. Dann bring mal deinen Brief zum Postkasten.«
    Niklas nickte und beeilte sich, den Postkasten zu erreichen, wo er so lange an seinem Ranzen rumfummelte, bis Roman Köhler endlich seinen Mitsubishi bestiegen und in Richtung Ortsmitte davongefahren war.
    Wie ärgerlich. Eine so aufregende Entdeckung, wie sie Elke und Miriam bei sich zu Hause gemacht hatten, würde ihm wohl verwehrt bleiben. Ob seine Eltern die Wohnung gewechselt hatten, um die Erinnerungen an seinen Bruder abzuschütteln? Der Gedanke, dass seine Mutter seinen Bruder Jonas vielleicht ebenfalls versucht hatte zu ersticken – und dabei sogar erfolgreich gewesen war –, ließ ein Schauer über seinen Rücken laufen. Niklas’ Magen grummelte. Er fischte in seiner Jacke nach etwas Süßem, doch zu seinem Bedauern hatte er seinen letzten Schokoriegel vorhin schon verzehrt. Missmutig stapfte durch den vielen

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