Weisser Schrecken
und einen Moment lang sah es so aus, als sprenge der Sturmwind die Türen nach innen auf. Gemeinsam stemmten sich die vier gegen die unheimliche Macht und wichen erst zurück, als sie den alten Bootsrumpf derart verkantet hatten, dass es schon eines Vorschlaghammers bedurft hätte, um ihn wieder aus seiner Position zu bewegen.
»Was meinst du mit ›nicht natürlich‹?«, rief Robert.
»So wie hier nichts natürlich ist«, schrie Elke zurück. »Diese Schneewolken über dem Ort … Als wir zurückgelaufen sind, hatte ich fast das Gefühl, als würde irgendetwas darin leben!«
Robert starrte Elke an, als hätte diese ihren Verstand verloren. Doch Andreas kümmerte sich nicht weiter um ihn, denn im Innern des Schuppens sank die Temperatur schlagartig um einige Grade. »Zurück!«, zischte er alarmiert. »Bleibt von der Tür weg!«
In das Heulen des Windes mischten sich jetzt unheimliche Kratzlaute, so als führen scharfe Krallen über die Außenwände der Hütte. Die Fensterscheiben wurden grau und stumpf, und knisternd bildeten sich auf ihnen Eisblumen, die widerlichen Fratzen ähnelten, welche zu ihnen ins Innere starrten. Miriam schrie panisch auf. Irgendetwas Schweres walzte über das Dach hinweg. Es rumpelte im Gebälk, und Schnee rieselte durch die Löcher der Dachsparren zu Boden. Andreas vernahm jetzt ein hässliches Knirschen. Eines der Bretter in den Wänden bog sich nach außen durch, so als hätten Geisterhände nach ihm gegriffen, um ein Loch in die Hüttenwand zu reißen. Durch den Spalt drang Schnee. Doch das war keine einfache Schneewehe. Die Wulst, die sich da zu ihnen hineinzwängte, sah aus wie eine übergroße Zunge aus klirrendem Frost, die sich ihnen näherte. Elke gab einen erstickten Laut von sich, schnappte sich den alten Besen und schlug kreischend auf das weiße Gebilde ein, bis von diesem nur noch ein Berg Schnee übrig war, der über die halbe Länge der Bodens verteilt lag. Auch an anderen Stellen in den Hüttenwänden knackste und knirschte es. Von allen Seiten drängten madengleich lange Schneefinger ins Schuppeninnere, die sich unaufhörlich krümmten und immer länger wurden, während von den Dachsparren mit einem Mal gefährlich spitze Eiszapfen zu ihnen herabwuchsen. Sie wirkten wie Zähne, die sich unerbittlich in ihr Fleisch schlagen wollten.
»Feuer!«, schrie Andreas gegen das Tosen des Orkans an. »Schnell, lasst uns ein Feuer entzünden!« Bevor Miriam wusste, wie ihr geschah, hatte ihr Andreas die Petroleumlampe aus der Hand gerissen und drückte ihr stattdessen seine Taschenlampe in die Hände. »Robert, dein Feuerzeug, schnell!« Es knisterte und knackte über ihm im Gebälk. »Schaut nach, ob hier irgendwelche Lumpen herumliegen.« Andy schnappte sich eines der Ruder, legte es schräg auf einen Holzblock und sprang mit aller Macht drauf. Mit einem hässlichen Laut zerbrach die Stange, während Elke wie ein Irrwisch durch die Hütte jagte und mit dem Besen unaufhörlich auf die unheimlichen Schneegebilde einschlug. Doch sie wuchsen schneller in die Hütte hinein, als dass sie diese zerstören konnte.
»Tut doch was!«, brüllte sie. Andreas schnappte sich den unteren Teil der zerbrochenen Ruderstange, deren Bruchstelle einen schrägen Schlitz aufwies. Hastig riss er Miriam einen alten Lappen aus der Hand, verkantete den Stoff im Holz und drehte den Schraubverschluss der flackernden Petroleumlampe auf, um etwas von der brennbaren Flüssigkeit auf den Stoff zu kippen. Schon entzündete Robert sein Feuerzeug und setzte den Lappen in Brand. Es knisterte, als die Flamme Nahrung fand und den Lumpen hell entfachte. Andreas drückte Robert die Laterne in die Hand und schlug mit der improvisierten Fackel ebenso wie Elke mit ihrem Besen wuchtig auf die in den Raum eindringenden Schneegebilde ein. Dort, wo der brennende Knüppel auftraf, quietschte es, als fielen Eiswürfel auf eine glühende Herdplatte. Die Frostfinger zerplatzten, und alles, was von ihnen übrig blieb, waren dampfende Eiswolken. Andreas zertrümmerte mit der Fackel gerade zwei Eiszapfen, die schräg über ihm auf seinen Kopf zuwuchsen, als Robert aufschrie. Etwas Weißes, das unter der Regalwand hervor gekrochen kam, hatte ihn am Fußknöchel gepackt. Mit lautem Aufschrei wirbelte er die Laterne über den Kopf und schlug zu. Klirrend barst das Glas. Petroleum spritzte über Wände und Boden, und schon stand die komplette untere Breite der Regalwand in Flammen. Das unheimliche Ding an seinem Bein zerplatzte zu
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