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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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nein, sie küssten sich! Andy und Elke küssten sich.
    Niklas stand einfach nur so da, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Innerlich gefror er ebenfalls zu Eis. Jede Faser seines Körpers schmerzte. Was er am Nachmittag erstmals vermutet hatte, war in diesem Augenblick zur Gewissheit geworden. Elke dabei zuzusehen, wie sie einem anderen in den Armen lag, tat so weh, dass Niklas selbst das Atmen fast vergaß. Dabei war er es doch gewesen, der ihr in all der Zeit die Hausaufgaben gemacht hatte. Hatte sie ihn nicht immer liebevoll ihr »Brain« genannt?
    Etwas in ihm zerbrach, und Tränen liefen ihm über die fleischigen Wangen.
    Niklas warf sich herum und rannte heulend in die Dunkelheit. Weg hier. Bloß weg von hier. Elke hatte seine Gefühle einfach ausgenutzt. Sie war kein Stück besser als all die anderen Schnepfen. Sicher hatte sie sich in all der Zeit über ihn totgelacht, weil er so dumm war, ihr wie ein verliebter Gockel aus der Hand zu fressen. Und Andy … Warum wurde Andy immer alles hinterhergeworfen, ohne dass er sich auch nur einen Deut dafür anstrengen musste? Ob die anderen davon gewusst hatten? Sicher hatten sie das. Er war ja bloß der fette Idiot, mit dem man es machen konnte. Der nützliche Trottel.
    Im Ort läuteten die Kirchenglocken zur Mitternacht. Niklas ignorierte das Gebimmel. Und es interessierte ihn auch nicht, dass plötzlich dicke Hagelkörner wie Pistolenkugeln vom Himmel prasselten und ihn schmerzhaft an Wange und Händen streiften. Sein Schmerz saß tiefer. Viel tiefer. Er hasste sie. Er hasste sie alle.
    Schluchzend stemmte er sich gegen den Sturmwind und taumelte verzweifelt durch die schneebedeckten Straßenzüge. Doch der Sturm wuchs sich immerfort zu einem echten Orkan aus. Eiskalte Böen packten ihn und zerrten an seiner Kleidung. Plötzlich wurde ihm die Bommelmütze vom Kopf gerissen, die vom Wind über die Schneedecke getrieben wurde und schnell in der Dunkelheit verschwand. Niklas bekam es mit der Angst zu tun. Himmel, was geschah hier? Sein ganzer Anorak war inzwischen mit Schnee bedeckt. Er hatte es ungefähr auf Höhe der Kirche geschafft, als es dem Sturm erstmals gelang, ihn gegen die Karosserie eines Autos zu werfen. Über ihm in der Luft war ein Heulen und Lärmen zu hören, so als ob eine Lawine auf den Ort niedergehen würde. Und irgendwo da oben gellte plötzlich ein Schrei über das Dächermeer Perchtals, so langgezogen und grauenhaft, dass ihm schier das Blut in den Adern gefror. Niklas sah ächzend auf und hielt seine Brille fest. Erstmals fiel ihm die unheimliche Finsternis auf, die sich mit dem Sturm über den Ort gesenkt hatte. Der tosende Frostwind brüllte durch die Gassen, und schwarze Graupelschauer peitschten fast senkrecht gegen Dächer und Hauswände. Niklas spürte, dass er im Gesicht blutete. Blut war auch an seinen Händen. Wimmernd rannte er auf ein schmales Gässchen zu, in der Hoffnung, dort Schutz zu finden. Lange Eiszapfen stachen von den Dachtraufen, doch weiter hinten, inmitten des Schneegestöbers, konnte er Lichter ausmachen. Sie waren nur schwach und schemenhaft zu erkennen, und sie bewegten sich. Da hinten mussten Erwachsene sein. Winkend und mit neu aufkeimender Hoffnung rannte Niklas auf die Lichter zu, als er erkannte, dass diese Lichter nicht natürlichen Ursprungs waren. Da hinten auf der Straße standen Kinder. Das fahle Leuchten ging von ihren Körpern aus. Wie gestern auf dem Friedhof waren sie in Bischofsgewänder gehüllt und starrten ihn stumm, fast anklagend aus tiefschwarzen Augen an. Mit lautem Knall schlug ein Hoftor inmitten des Straßenzugs auf, so als sei es von einem Hammerschlag getroffen worden. Im nächsten Moment sprang ein Schäferhund in die Gasse. Die geisterhaften Gestalten deuteten auf Niklas. Knurrend und mit gefletschten Zähnen wirbelte das Tier zu ihm herum und jagte über die Schneedecke auf ihn zu. Niklas schrie vor Furcht auf, warf sich nach hinten und trat die Flucht an. Doch das Bellen, Geifern und Knurren kam immer näher. Niklas geriet ins Stolpern. Bäuchlings stürzte er in eine hohe Schneewehe, die fast bis unter das Fenster eines der Häuser reichte. Panisch wälzte er sich herum, um den tollwütigen Köter abzuwehren, als über ihm mehrere lange Eiszapfen von den Dachkanten brachen. Gleich einem glitzernden Vorhang regneten sie auf die Straße nieder, nur um jäh von den Sturmwinden gepackt und in Richtung des geifernden Köters geschleudert zu werden. Die Eislanzen durchbohrten den

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