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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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Schäferhund, als dieser ihn anspringen wollte. Und doch hatte der massige Hundekörper noch immer so viel Schwung, dass er Niklas halb unter sich begrub. Niklas japste vor Entsetzen. Aber das Tier rührte sich nicht mehr. Die Eiszapfen hatten den Schäferhund dreifach aufgespießt. Lachen aus Tierblut tränkten dunkelrot den weißen Schnee zu seinen Beinen.
    Schlagartig verebbte der Sturm. Die Stille, die sich jetzt über Perchtal senkte, war fast greifbar. Selbst der Schneefall endete von einem Augenblick zum anderen. Noch immer lag Niklas hilflos in der Schneewehe, klapperte mit den Zähnen und sah aus den Augenwinkeln, wie die geisterhaften Schemen der Kindsgeister auseinandergetrieben wurden. Ein fürchterliches Klirren erfüllte den Himmel über der Ortschaft. Darin mischte sich ein Knirschen, wie von Reißzähnen auf blanken Knochen. Niklas spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten, und fühlte das Nahen einer fürchterlichen Präsenz. Er wollte schreien, doch er bekam keinen einzigen Ton über die Lippen. Selbst das Licht der wenigen Laternen, die noch nicht unter Eis und Schnee begraben waren, schien sich vor dem, was da kam, zu ducken. Und dann erschien … ES! ES glitt aus den Wolken. Und ES war so schwarz wie das All. Im gesamten Straßenzug knisterte es, und Niklas konnte dabei zusehen, wie die Fenster der Häuser rings um ihn herum vereisten. Innerhalb von Augenblicken wuchsen auf den Scheiben bizarre Eisblumen empor, deren Geometrie irgendwie falsch wirkte. Gleich einem monströsem Schemen aus Gestalt gewordener Nacht rauschte die Ungeheuerlichkeit über die Dächer der Ortschaft hinweg und verschattete – soweit das überhaupt noch möglich war – Hauswände, Straßen und Häuserzugänge. Ein Kältehauch streifte Niklas, und er glaubte, dass er sterben müsse. Einen Augenblick lang beschlich ihn der entsetzliche Eindruck, etwas Grimmes starre ihn von oben herab an.
    Doch unmittelbar darauf war der Spuk vorbei.
    Das Licht der Laternen am Ende der Gasse flammte wieder etwas heller auf, Schneeflocken rieselten herab, und der Wind strich nun so milde durch die Gasse wie schon den ganzen Tag nicht. Die Ruhe nach dem Sturm? Oder die Ruhe vor dem Sturm? Niklas wusste es nicht. Er war so erleichtert, dass er laut losschluchzte. Noch immer raste sein Herz, und das Entsetzen lähmte ihn derart, dass er sich erst wieder rührte, als ihm bewusst wurde, dass er seine Finger vor Kälte kaum noch spürte. Bibbernd schob er den steif gefrorenen Hundekörper von sich herunter, erhob sich mit zitternden Knien und betrachtete völlig verängstigt das viele Tierblut, das rings um ihn herum zu dunklen Lachen gefroren war. Wie gelähmt klopfte er sich den Schnee von der Kleidung. Weg, er musste weg von hier! Niklas stolperte wimmernd durch den Schnee, der jetzt kniehoch die Gasse ausfüllte. Er hatte gerade eine der Laternen erreicht, als er über sich am Nachthimmel, zwischen den Schneeflocken, etwas Dunkles entdeckte. Der Gegenstand war verhältnismäßig klein und trudelte aus der Finsternis auf ihn herab. Mehrfach überschlug er sich in der Luft, bevor er mit einem dumpfen Geräusch vor ihm im Schnee aufschlug.
    Es war das Kissen seiner Mutter. Das Kissen.
    Der Kloß in seiner Kehle löste sich, und der Bann, der ihn bis eben im Klammergriff gehalten hatte, brach. Niklas schrie, wie er noch nie in seinem Leben geschrien hatte.
    Der unheimliche Sturmwind rüttelte mit urtümlicher Kraft an den Wänden des Bootsschuppens. Andreas sah, wie sich die Ruderstange leicht durchbog, mit der sie den Zugang verkeilt hatten. Immerzu stemmte sich der Wind von außen gegen die Flügeltüren, heulte mit kreischenden Lauten um den Schuppen herum und stieß durch Ritzen und Fugen ins Innere vor. Schneewehen drängten unter der Tür hindurch.
    »Andy, was geht hier vor sich?«, rief Miriam entsetzt.
    »Ich weiß es nicht!«, schrie er gegen das allgegenwärtige Heulen an und zog Robert in dem Getöse mit sich zu dem Bootsrumpf. »So etwas wie ein Blow Out! Schnell, lass uns das Ding vor den Eingang schieben!«
    »Teufel, wir sind doch hier nicht in Alaska …«, keuchte Robert verstört, doch Andy ließ ihn nicht ausreden.
    »Frag nicht! Mach einfach!«
    »Glaubt uns. Der Sturm … der ist nicht natürlich!« Elke klapperte mit den Zähnen. Dennoch lief sie an ihre Seite und half ihnen dabei, den schweren Bootskörper anzuheben und gegen die Türflügel zu wuchten. Keinen Augenblick zu spät, denn die Ruderstange rutschte weg,

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