Weisses Gold
Hatfeild dazu überredet, auf seinem Posten zu bleiben. Hatfeild war wenig erfreut, hatte jedoch schließlich der Überredungskunst Stewarts nachgegeben. Er blieb vier weitere Jahre in seinem trostlosen Amt, doch im Sommer 1726 war er endgültig mit seinem Latein am Ende. Seine Geldtruhe war vollkommen leer, doch in London schien das keinen Menschen zu kümmern. Als die Korsaren von Salé immer mehr britische Schiffe kaperten und ihre Gefangenen im Triumph nach Meknes brachten, entschloss sich Hatfeild, seinen Hut zu nehmen. Er konnte die Schande seiner diplomatischen Ohnmacht nicht länger ertragen.
Sein Nachfolger war John Russell, der im Frühjahr 1727 in Marokko eintraf. Er wollte direkt zum Hof von Mulai Ismail reisen. Doch zu dem Treffen mit dem Sultan sollte es nicht mehr kommen. Ende März machten am Hof von Meknes unheilvolle Gerüchte die Runde, und bald sollte sich herausstellen, dass sie der Wahrheit entsprachen.
Einige Monate zuvor war Mulai Ismail erkrankt. Seine engsten Vertrauten erkannten rasch, dass er sich nicht mehr erholen würde. Er verlangte, seine Ärzte sollten sich mehr anstrengen, um ein Heilmittel zu finden, und er wurde immer reizbarer, weil ihm die Elixiere und Heiltränkenicht halfen. »Gegen Ende seines Lebens verströmte er einen derart üblen Geruch, dass es trotz aller Parfüms niemand in dem Raum aushalten konnte, in dem er lag«, schrieb John Braithwaite, der Konsul Russell auf seiner Mission nach Marokko begleitete. Trotz seines körperlichen Verfalls bewahrte sich Mulai Ismail seine Manneskraft und ließ seine Frauen und Konkubinen an sein Bett kommen, um seine Gelüste zu befriedigen. Der Franzose Adrian de Manault berichtete: »Zu seiner Erholung forderte er widerwärtige Akte, die zu beschreiben uns der Anstand verbietet.«
Der Tod kam schließlich schnell. Er war bereits von der Krankheit zerfressen, als »der untere Teil seines Bauches abgetötet« wurde, was ihn bewegungsunfähig machte. Der Aufseher der Eunuchen erkannte, dass sein Ende nahte. Am 22. März, »zu der Stunde, da der Muezzin die Gläubigen zum Mittagsgebet ruft«, starb der große Mulai Ismail. Er war 80 Jahre alt geworden und hatte Marokko bemerkenswerte 55 Jahre lang regiert.
Keiner der Höflinge hielt die letzten Worte des Sultans fest, und es ist nicht bekannt, ob er in seiner Todesstunde bei Bewusstsein war. Im Lauf seiner Herrschaft hatte er tausende Menschen getötet, viele davon mit eigener Hand. Er hatte ungezählte Höflinge von Maultieren zu Tode schleifen lassen und Dutzende Mitglieder seiner Leibwache selbst geschlachtet. Er hatte einige seiner Söhne hingerichtet und viele seiner Frauen verstümmelt. Es ist dokumentiert, dass er mindestens zwei seiner Untertanen zersägen ließ, und zahlreiche Kaids und Beamte verloren Augen und Gliedmaßen durch seine Wut. Doch die größte Menschenverachtung hatte Mulai Ismail gegenüber seinen Sklaven gezeigt, die er willkürlich ermorden und quälen, verstümmeln und erniedrigen ließ.
Die überlebenden Sklaven hätten über den Tod des Sultans zweifellos gejubelt, aber es dauerte zwei Monate, bevor die Neuigkeit aus dem Palast nach außen drang. Thomas Pellow, der zu jener Zeit in Kasbah Temsna stationiert war, führt die strenge Geheimhaltung vage auf die Staatsräson zurück. John Brathwaites Bericht über den Tod des Sultans hingegen enthält mehr Informationen. Er schreibt, Mulai Ismail selbst habe dieses Täuschungsmanöver angeordnet, um die auf den Tod des Sultans verlässlich folgende Orgie von Plünderungen und Gewaltausbrüchen zu verhindern. Häufig wurde der Palast gestürmt und geplündert,und rivalisierende Thronanwärter stellten Armeen auf, um ihre Ansprüche gewaltsam durchzusetzen.
Mulai Ismail hatte gehofft, den Thron für jenen Sohn zu erhalten, den er zu seinem Erben auserkoren hatte. Die wenigen Höflinge, die in seinen letzten Stunden bei ihm waren, hatten schwören müssen, die Nachricht von seinem Tod um keinen Preis im Palast zu verbreiten. Die Routine am Hof musste unbedingt aufrechterhalten werden, um die Illusion aufrechtzuerhalten, dass Mulai Ismail noch lebte. Die Kaids des Sultans wurden nicht über seinen Tod aufgeklärt und weiterhin im Palast empfangen, als wäre nichts geschehen. Obwohl man ihnen eine Audienz verweigerte, nahm der Aufseher der Eunuchen ihre Geschenke für den Herrscher entgegen. Die Boten kamen und gingen. Es wurden im Namen des Sultans Befehle erteilt. Es vergingen nicht weniger als acht Wochen,
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