Weisses Gold
grauenvolle Dasein eines europäischen Sklaven im Reich des Sultans Mulai Ismail.
Auch Pellows Eltern hatten gewiss eine Geschichte zu erzählen. Sie hatten viele Jahre mit der Angst und der Trauer um ihren verlorenen Sohn leben müssen und nur beten können, eines Tages wieder mit ihm vereint zu sein. Aber ihr Kummer wurde nirgendwo festgehalten, und es ist kein einziger Brief der Familie erhalten geblieben.
Auch im Bericht ihres Sohns gibt es Lücken. Weder erwähnt er seine Schwestern – die möglicherweise jung starben –, noch geht er näher auf seinen erzwungenen Übertritt zum Islam ein. Stattdessen befasst er sich eingehend mit dem Wunder, das es ihm ermöglichte, all die Jahre zu überleben und all den Schrecken zu ertragen: »Nichts anderes als der Schutz des allmächtigen, guten, allwissenden und gnädigen Gottes hätte es mir ermöglichen können, das alles zu überstehen.«
Nach 23 Jahren in der Sklaverei war Thomas Pellow endlich wieder daheim.
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Nachwort
Der Handel mit weißen Sklaven endete nicht mit Thomas Pellows Rückkehr nach England. Es wurden auch weiterhin Europäer und Amerikaner verschleppt – die den Korsaren zumeist auf See in die Hände fielen – und nach Algier, Tunis und in die großen Sklavenpferche von Meknes gebracht, wo sie unter schrecklichen Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten. Ein besonders spektakulärer Zwischenfall ereignete sich im Jahr 1746, als das britische Schiff
Inspector
in der Bucht von Tanger versenkt wurde und alle 87 überlebenden Seeleute in die Sklaverei geführt wurden.
Thomas Troughton, ein Besatzungsmitglied, schrieb: »Man legte uns große Eisenketten um den Hals, und zwanzig von uns wurden an einer Kette angehängt.« Fünf Jahre später wurden Troughton und seine überlebenden Kameraden von der britischen Regierung freigekauft. Andere hatten weniger Glück, denn der herrschende Sultan weigerte sich hartnäckig, seine französischen, spanischen, portugiesischen, italienischen und niederländischen Sklaven ziehen zu lassen.
Doch im Jahr 1757 bestieg Sidi Mohammed den Thron des maghrebinischen Königreichs. Dieser raffinierte Taktiker und fähige Politiker war ausländischen Einflüssen gegenüber offener als seine Vorgänger. Sidi Mohammed, dem der französische Konsul Louis de Chenier »einen scharfen Verstand und ein gutes Urteilsvermögen« zusprach, unterhielt sich gerne mit europäischen Gästen an seinem Hof. Seine aufgeklärte Haltung weckte bei seinen Beratern einiges Misstrauen, vor allem, als er erklärte, die zerrütteten Finanzen des Landes könne man eher mit dem internationalen Handel als mit Freibeuterei und Sklaverei sanieren. Der Sultan wollte mit allen Ländern Handel treiben und lud ausländische Schiffe in seine Häfen ein, in der Hoffnung, »in Frieden mit der ganzen Welt« zu leben. Den Korsaren von Salé und Rabat, die sich seiner Thronbesteigung widersetzt hatten, erklärte er den Krieg. Die Garde des Sultans griff die Korsaren an und zwang sie rasch in die Knie. Der Gouverneur von Salé wurde gesteinigt, und die Einwohner von Rabat »bekamen den Zorn des Prinzen zu spüren«.
Nach diesem Sieg ging der Sultan in die diplomatische Offensive. Er bot den Ländern, die so lange den Angriffen der Korsaren ausgesetzt gewesen waren, Abkommen an. Im Jahr 1757 unterzeichnete er einen Friedensvertrag mit Dänemark. Zwei Jahre später schlossen auch die Briten und Niederländer Frieden mit ihm. Schweden tat denselben Schritt im Jahr 1763, kurz darauf folgte die Republik Venedig. Schließlich unterzeichneten fast alle europäischen Länder Abkommen mit dem marokkanischen Sultan: Frankreich und Spanien im Jahr 1767, Portugal im Jahr 1773, die Toskana, Genua und das Habsburgerreich wenige Jahre später. Im Jahr 1786 schlossen auch die kurz zuvor unabhängig gewordenen Vereinigten Staaten von Amerika Frieden mit dem maghrebinischen Königreich.
Die einst so mächtige Korsarenflotte von Salé verlor in dieser langen Friedenszeit ihre Schlagkraft. Nachdem sie zwei Jahrzehnte lang fast nicht zum Einsatz gekommen waren, waren viele Schiffe halb verrottet und nicht mehr seetüchtig. Europäische Beobachter berichteten, dass im Hafen von Salé nur noch 15 Fregatten, einige wenige Schebecken und etwa dreißig Galeeren lagen. Das war nur ein kläglicher Rest der einst stolzen Flotte, und diese Schiffe waren keine Gegner mehr für die großen Kriegsflotten Großbritanniens und Frankreichs. Doch es ist schwierig, alte Gewohnheiten
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