Weisses Gold
unerhofftes Glück kaum fassen. Nahte tatsächlich Delgarno, so gab es eine Hoffnung auf Rettung. Der Kapitän hatte sich mit erfolgreichen Angriffen auf Barbareskenkorsaren einen Namen gemacht. In den vergangenen Monaten hatte er zwei ihrer Schiffe aufgebracht. Eines war im Triumph zum britischen Marinestützpunkt Gibraltar gebracht worden. Das andere war in Stücke geschossen und vor Kap Cantin versenkt worden. Nun begann ein Wettlauf mit der Flut: Würde es dem britischen Schiff gelingen, die Schebecken der Korsaren manövrierunfähig zu schießen, bevor es ihnen gelang, sich in den Hafen zu flüchten?
Die beiden Kommandeure handelten mit der für die Korsaren charakteristischen Entschlossenheit und verließen sich darauf, dass die steigende Flut sie bereits in den Hafen tragen könnte. Doch das erwies sich als fataler Irrtum. »Mediuni lichtete den Anker, und Ali Hakem ließ das Ankertau durchtrennen«, schreibt Pellow, »und beide Schiffen liefen auf der Barriere auf Grund.«
Es ist nicht vollkommen klar, was dann geschah. Der französische Konsul in Salé, Monsieur le Magdeleine, der das Geschehen aus der Ferne vom Strand aus verfolgte, berichtet, die Schebecken der Korsarenseien von Wind und Wellen kurz und klein geschlagen worden. Doch Thomas Pellow erzählt eine ganz andere Geschichte: Das britische Schiff – dessen Identität nie bestätigt wurde – sei mit der klaren Absicht auf die aufgelaufenen Schiffe zugesteuert, sie zu versenken.
Als sich das angreifende Schiff den Schebecken näherte, eröffnete es mit seinen schwersten Geschützen das Feuer, und »einige seiner Schüsse trafen sie«, während andere »weit über sie hinaus flogen, doch sie wurden beide … rasch in Stücke geschossen«. Der Wind wurde immer stärker, und die scharfen Böen wuchsen sich zu einem spektakulären Sturm aus, der riesige Wellen gegen die Sandbank peitschte. Nun brach die See mit aller Macht über die angeschlagenen Schebecken herein, die von den Brechern zertrümmert wurden. Ihr Schicksal war rasch besiegelt. Die beiden Schiffe brachen auseinander, die schäumenden Wassermassen drangen in ihre Rümpfe ein, und Besatzungen sowie Gefangene mussten um ihr Leben schwimmen. »Ich für meinen Teil«, schreibt Pellow, »konnte jedoch nur sehr wenig schwimmen, und hätte ich es versucht, so hätte mich die erbarmungslose See überwältigt.« In seiner Verzweiflung flehte er seinen Kameraden Lewis Davies um Hilfe an. Doch dieser schüttelte traurig den Kopf und rief Thomas zu, »dass er all seine Kraft benötigen werde, um sich selbst zu retten, und dass [sie] mit aller Wahrscheinlichkeit beide das Leben verlieren würden, wenn er [ihn] auf den Rücken nähme«.
Pellow klammerte sich immer noch an das Wrack. Er hatte bereits jede Hoffnung aufgegeben, als eine gewaltige Welle den Mast des Schiffes zerschmetterte. Der Junge begriff, dass dies seine letzte Chance auf Rettung war, sprang ins Wasser und bekam den Mast zu fassen. Als der Mast auf der wütenden See tanzte, wurde er von einem Aussichtsposten erspäht und »von einigen Leuten mit einem Boot an den Strand gebracht«. Halbtot und vor Angst zitternd, sah er fassungslos zu, wie die Mitglieder der maurischen Besatzung in aller Ruhe an Land schwammen. »Sie hatten keinerlei Furcht vor den Gefahren des Meeres«, schreibt er, sondern »sprangen hinein und schwammen an den Strand, wie es viele Hunde tun«. Auch seinen Kameraden war es gelungen, sich zu retten. Alle Männer von den drei gekaperten Schiffen kämpften sich durch die Wogen an Land, wo sie von Einheimischen aufgegriffen wurden. Als sie sich am Strand von der überstandenen Gefahr erholten, sahen sie, wie sich das britische Schiff wieder entfernte. Innerhalb weniger Minuten war es nur noch ein Schemen im Dunst über dem Meer.
Das Erste, was Thomas Pellow im Sommer des Jahres 1716 von Salé sah, waren die Befestigungsanlagen einer Trutzburg. In den vorangegangenen Jahrzehnten waren zu beiden Seiten des Flussdeltas massive, stark bewaffnete Festungen errichtet worden. Entlang der Felsküste hatte man zudem Bastionen gebaut, die den Hafen mit Geschützen vor Angriffen von See her schützten. Über den Befestigungsmauern erhoben sich Türme und Minarette, und darunter lagen Obst- und Gemüsegärten, die sich fast bis zum Meer erstreckten. Wenn die Orangen- und Zitronenbäume blühten, sah Salé zauberhaft aus.
Doch die neu eintreffenden Gefangenen sahen nur wenig von dem Wohlstand, den die Sklavenhändler und
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