Weisses Gold
ziehen und sämtliche erbeuteten Waffen sowie das Schießpulver zu tragen. Unter den Kriegstrophäen war eine gewaltige, angeblich zwölf Meter lange Kanone, die von den Marokkanern als al-kissab (das Rohr) bezeichnet wurde. Vier Männer mussten sich mit ausgestreckten Armen an den Händen fassen, um das Rohr dieser Kanone umfassen zu können.
Als sich die Gefangenen der Hauptstadt näherten, verwandelten sie sich in Statisten eines spektakulären Triumphzugs. Der Sultan hatte 10 000 Soldaten aufgeboten, um den historischen Sieg zu feiern, und die Kapellen spielten den ganzen Tag. Mehrere Söhne des Sultans waren derart außer sich vor Freude angesichts der großen Zahl gefangener Christen, dass sie begannen, hemmungslos auf diese zu schießen.
Die Feiern dauerten bis tief in die Nacht. Man präsentierte dem Sultan Statuen der Muttergottes und der christlichen Heiligen, damit er darauf spucken konnte, und der Triumph wurde mit prachtvollen Vorführungen gefeiert. Mulai Ismail erließ ein Edikt, mit dem das Tragen schwarzer Schuhe in Marokko verboten wurde, da dieser Brauch angeblich von den Spaniern eingeführt worden war, als sie Larache im Jahr 1610 erobert hatten. Der Mufti von Fes war so entzückt über den Sieg, dass er seinen poetischen Neigungen freien Lauf ließ:
So vielen Ungläubigen wurde im Morgengrauen der Kopf abgeschlagen!
So viele wurden mit dem Todesröcheln in der Kehle fortgeschleift!
Für so viele Kehlen wurden unsere Lanzen zu Halsketten!
So viele Lanzenspitzen wurden in ihre Herzen gestoßen!
Als das Fest vorüber war, ließ Mulai Ismail die spanischen Offiziere von den Soldaten trennen. Mit den Offizieren hoffte er ein hohes Lösegeld zu erzielen, weshalb sie in sicheren Zellen untergebracht wurden. Die übrigen Männer wurden von der schwarzen Garde des Sultans verprügelt und anschließend in die Sklavenpferche gesperrt. »Die Neger hielten sie in schwerer Sklaverei«, schrieb der britische Gefangene Francis Brooks, »und schlugen und peitschten sie den ganzen Tag; in der Nacht mussten sie unter der Erde schlafen; man gab ihnen so viel Brot wie den anderen armen Gefangenen und genug Wasser, um sie am Leben zu erhalten.«
Diese grausame Behandlung forderte bald ihre Opfer unter den kranken und unterernährten Männern. »Nachdem die armen Christen fünf Monate lang harte Sklavenarbeit getan und grausam geschlagen worden waren, wurden viele von ihnen krank und starben«, schrieb Brooks. Als sich Mulai Ismail erkundigte, warum so viele von ihnen auf der Baustelle fehlten, erfuhr er, dass 500 Gefangene zugrunde gegangen waren, während weitere 700 zum Islam übergetreten waren, um der Misshandlung zu entgehen. Als Kapitän Pellow und seine Männer in Meknes eintrafen, lebte nur noch eine Handvoll der spanischen Gefangenen.
Von seinen militärischen Triumphen berauscht, richtete Mulai Ismail sein Augenmerk nunmehr auf Ceuta, den größten und wertvollsten spanischen Besitz in Marokko. Man hatte ihm gesagt, dass es fast unmöglich sei, die Verteidigungsmauern der Festung von Ceuta zu überwinden oder zu sprengen. Dennoch ließ er seine französischen Sklaven tiefe Tunnel unter den Mauern graben. Er konnte auch auf einen russischen Renegaten zurückgreifen, einen Schmied, der sich auf den Bau von Geschützen verstand. Doch wie sich herausstellte, waren Kanonen kaum von Nutzen, um die steinernen Bollwerke der Stadt zu zerstören, weshalb der Sultan seine Kanoniere anwies, die Kirchen und Herrenhäuser in der Stadt zu beschießen.
Die Angriffe auf Ceuta setzten sich in den folgenden zwei Jahrzehnten fort. Bis zum Jahr 1716 schrumpfte die spanische Bevölkerung auf einen Bruchteil der früheren Zahl, und die meisten Gebäude lagen in Trümmern. Dennoch ordnete der Sultan im Sommer jenes Jahres ein weiteres Bombardement an, und mit einem gut abgestimmten Sturmangriff hätte er die Stadt möglicherweise in seine Gewalt bringen können. Doch er verlor rasch das Interesse an Ceuta, als er erfuhr, dass dort kaum noch menschliche Beute zu machen war. Außerdem musste er die Frage klären, wie die wachsende Zahl von Gefangenen in den Sklavenpferchen von Meknes möglichst nutzbringend eingesetzt werden konnte.
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5
Im Sklavenpferch
Kapitän John Pellow und seine Männer waren entsetzt, als sie den Sklavenpferch von Meknes betraten. Er lag nur wenige Schritte außerhalb der Stadtmauer, aber es lagen Welten zwischen diesem Ort und der glanzvollen imperialen Palastanlage in der Stadt. Die von
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