Weißes Leuchten (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Gesäßtaschen. Ich zwang mir sogar ein Lächeln ab. Es schien irgendein harmloser Kerl zu sein, den man über eine Arbeitsvermittlung angeheuert hatte.
»Hören Sie mal, Kollege, dieser Baum hier steht auf meinem Grund und Boden, und da will ich keine Nagellöcher drin haben.«
Mehrere Handbreit über meinem Kopf thronten die markanten Züge von Bobby Earls Gesicht, angestrahlt von Bühnenscheinwerfern, die seinem Haupt die messianischen Züge eines Billy Graham verliehen. Darunter stand sein meistzitiertes Statement: ICH WILL EURE STIMME SEIN – MACHT MICH ZUM SPRACHROHR EURER GEDANKEN. Etwas weiter unten dann noch ein Veranstaltungshinweis: eine politische Versammlung mit anschließendem Grillfest samt Dixieland-Bands am Freitag abend in Baton Rouge.
»‘tschuldigung«, sagte der Mann mit dem Hammer und den Krampen. »Der Mann hat mir nur gesagt, ich soll sie an alle Bäume dranmachen.«
»Welcher Mann?«
»Der Mann, der mir die Plakate gegeben hat.«
»Wie auch immer, ich wär’ Ihnen jedenfalls sehr verbunden, wenn Sie keine Plakate mehr anschlagen würden, bis Sie um die nächste Ecke rum sind, klar?«
»Klar.«
Ich versuchte, die Krampen aus der Rinde zu pulen, dann riß ich das Plakat einfach in der Mitte durch, drückte es ihm in die Hand und ging hoch zum Haus.
Bootsie war in der Stadt, und Alafair war noch nicht wieder von ihrem Picknick zurück. Im Schlafzimmer zog ich mich aus, schaltete den Ventilator am Fenster ein, legte mich oben auf die Bettdecke, ein Kissen über dem Kopf, und versuchte zu schlafen. Ich konnte den Regen hören, der jetzt in großen, flachen Tropfen auf die Bäume prasselte und auf den Rotorblättern des Ventilators metallisch klickte.
Aber schlafen konnte ich nicht. Immer wieder versuchte ich meine Gedanken zu ordnen, genauso, wie man wider besseres Wissen immer wieder an einer verschorften Wunde herumzupft.
Unabhängig davon, wieviel Schulbildung ein echter Südstaatler genossen hat oder für wie liberal oder intellektuell er sich selbst hält, glaube ich nicht, daß es aus meiner Generation viele gibt, die nicht immer noch der ganzen alten Südstaatenmythologie nachhängen, die wir doch angeblich als Bürger des sogenannten Neuen Südens endgültig zu den Akten gelegt haben. Es ist unmöglich, an einem Ort aufzuwachsen, wo eine Traktorfahrt über den Acker Miniékugeln und Schrapnellreste zutage fördern kann, vielleicht sogar das Rad einer alten Kanone, und dabei die Vergangenheit gänzlich abzutun.
Als Kind kamen mir nur wenige Bücher in die Finger, aber trotzdem kannte ich die ganzen Geschichten über den Einmarsch von General Banks im Südwesten von Louisiana, wie das Gerichtsgebäude des Bezirks bis auf die Grundmauern niedergebrannt war, wie die episkopalische Kirche auf der Main Street als Pferdestall dienen mußte, wie die Kanonenboote der Unionstruppen den Teche hinaufkamen und die Plantage an Nelson’s Canal westlich der Stadt mit Kanonenfeuer unter Beschuß nahmen, und wie sich die Louisiana-Jungen in ihren zimtbraunen Uniformen, die sich von getrockneten Erbsen ernähren mußten, nur unter blutigen Verlusten Schritt für Schritt zurückdrängen ließen.
Was spielte es für eine Rolle, ob sie für eine gerechte Sache gekämpft hatten oder nicht? Die Geschichten rührten einen an und brachten das Blut in Wallung; die Miniékugel mit den Spurrillen, die man aus der frischgepflügten Ackerfurche herausgepickt hatte und jetzt in der Handfläche wog, ließ einen an einem Augenblick teilhaben, der vor mehr als einem Jahrhundert vergangen war. Man ließ den Blick in die Ferne schweifen, hinüber zu einer Baumgruppe am Bayou, und wo gerade noch eben einem der Traktormotor getuckert hatte, hörte man das abgehackte und unregelmäßige Knallen von Gewehren und Pistolen und sah schwarze Rauchfahnen aus den Gebüschen in die Sonne hochschießen. Und dann begriff man, daß sie genau hier auf diesem Feld gestorben waren, daß ihr Blut in diese Erde hier gesickert war, wo das Zuckerrohr im Herbst weit über zwei Meter hoch stehen und den Farbton von getrocknetem Blut haben würde.
Aber warum gingen so viele Menschen einem Mann wie Bobby Earl auf den Leim? Ließen sie sich so leicht hinters Licht führen? Mußte man damit rechnen, daß jede x-beliebige Gruppe normaler und vernünftiger Menschen ein ehemaliges Mitglied der amerikanischen Nazipartei und des Ku-Klux-Klan mit der Führung von Regierungsgeschäften betrauen würde? Darauf wußte ich keine Antwort.
Ich
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