Weißes Leuchten (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Kriegsbemalung.
»Kaffeepause!« brüllte er den Arbeitern zu.
Jemand schaltete die Bohrmaschine aus, und ich machte den Mund auf und zu, um die Ohren wieder freizubekommen. Weldon entledigte sich seiner verdrahteten Handschuhe, zog den Reißverschluß seines Overalls auf und schlüpfte heraus. Darunter trug er eine normale Hose und ein Polohemd, und unter den Achseln und in der Brustmitte war alles dunkel vor Schweiß.
»Laß uns rüber in den Schatten gehen«, sagte er. »Heute ist es sicher fünfunddreißig Grad.«
Wir gingen ans andere Ende der Plattform, wo eine Leinenmarkise war, unter der wir uns ans Geländer lehnten. Der schweflige Geruch von Erdgas hing in der Luft.
»Ich dachte eigentlich, hier hättest du bereits so ziemlich alles rausgeholt, was rauszuholen ist«, sagte ich.
»Überall, wo mal Meer war, gibt’s Öl. Du mußt nur tief genug bohren.«
Ich ließ meinen Blick hinaus zu den anderen Bohrtürmen schweifen, deren Pumpwerke in der Ferne Schwerstarbeit verrichteten, und die langen silbernen Rohre dazwischen, die das Erdgas, das durch sie strömte, kalt schwitzen ließ.
»Jetzt wo der Preis von Rohöl so gesunken ist, müssen viele kleine Unternehmen dichtmachen«, sagte ich.
»Mag schon sein. Ich nicht. Was führt dich hierher, Dave?«
»Ich soll dir was ausrichten.«
»Ach ja?«
»Eigentlich will ich dir nur sagen, was ich mir so denke. Bist du heute schon bei Drew gewesen?«
»Ja, grad eben.«
»Du weißt also, daß du bei Gouzas Prozeß auch aussagen müssen wirst?«
»Und?«
»Irgendwie habe ich den Eindruck, daß du immer noch denkst, irgend jemand würde den Mantel des Schweigens über deine Probleme decken und du müßtest keinerlei Rechenschaft darüber ablegen, was du eigentlich mit Gouza zu schaffen hattest. Er will sich nicht auf einen Deal einlassen. Für ihn geht es um lebenslänglich in Angola. Seine Anwälte werden euch mit einer Motorsäge zu Leibe rücken, wenn sie dich und Drew in den Zeugenstand holen.«
»Und was soll ich dagegen tun?«
»Erst mal solltest du dir durch den Kopf gehen lassen, was Drew da überhaupt tut.«
Er versuchte sich mit einem sauberen Lappen die Schmiere aus dem Gesicht zu wischen.
»Bestell Gouza von mir, daß es nicht in seinem Interesse ist, auf Kaution rauszukommen«, sagte er. »Glaub mir, der soll mir bloß nicht unter die Augen kommen, wenn er nicht einen Haufen Cops um sich hat.«
»Du glaubst es also?«
»Meinst du etwa, sie hätte es selbst getan? Ihr habt schon den Richtigen eingebuchtet. Jetzt seht nur zu, daß er auch dort bleibt.«
»Ich habe da gewisse Probleme, Weldon. Ich erklär’s dir mal. Joey Gouza ist ein ›gemachter Mann‹, wie das die Mafia nennt. Das heißt, er ist mit allen Ehren und Rechten in eine Familie aufgenommen. Das ist in seinem Fall sehr ungewöhnlich. Er ist da nicht reingeboren, niemand hat die Hand über ihn gehalten, und er hat auch sonst keine politischen Verbündeten, die ihm das hätten erleichtern können. Er hat als miese kleine Ratte in einer Besserungsanstalt angefangen und sich hochgearbeitet. Was bedeutet, daß er in der Welt, in der er lebt, eine ganze Menge mehr Grips bewiesen hat als ein Großteil der Leute um ihn herum. Komm schon, du kennst ihn, Weldon, meinst du wirklich, er wäre so blöd, sich so sein eigenes Grab zu schaufeln?«
Er faltete den rosa Wischlappen zu einem sauberen Quadrat zusammen und balancierte ihn auf dem Geländer. Dann rückte er ihn ein Stück weiter und spielte wieder damit rum.
»Die Zeit des großen Mauerns ist vorbei«, sagte ich. »Deine Schwester hat dafür gesorgt.«
»Du bist also hier rausgekommen, um mir zu sagen, daß sie eine Lügnerin ist?«
»Nein, ich bin hier rausgekommen, um dir zu sagen, daß sie ein Opfer ist. Und ich verwende dieses Wort in einem ziemlich weiten Sinne. Manche Menschen sind schon seit ihrer Kindheit Opfer. Dann werden sie älter, ohne je eine andere Rolle zu erlernen. Eine vielleicht ausgenommen. Sie können sich als Katalysatoren beweisen.«
»Jetzt komm mal zur Sache, Dave.« Er drehte sich zu mir, die eine Hand auf das Metallgeländer gestützt.
»Lyle versteht, worum es geht, und er hat nicht mal die Highschool zu Ende gebracht.«
»Jetzt paß genau auf, was du sagst, Dave.«
Ich holte tief Luft. Die Luft roch durchdringend und scharf nach Gas und Ölschmand und all dem Unkraut, das in der Sonne vor sich hin moderte.
»Hör mir gut zu, Weldon. Wenn ich schon eure Familiengeschichte kenne, zumindest den
Weitere Kostenlose Bücher