Weißglut
verletzt«, widersprach Jessica energisch. »Er hätte niemals gewollt, dass ich mich ein Leben lang fragen muss, warum er es getan hat und was ich hätte tun oder sagen können, um ihn davon abzuhalten. Solche Selbstzweifel hätte er mir nicht aufgebürdet. Nein, Sayre. Ich werde niemals glauben, dass er sich selbst erschossen hat.«
Nach kurzem Nachdenken meinte sie: »Aber ich muss zugeben, dass die Alternative genauso undenkbar ist. Danny war so arglos. Selbst die Gießereiarbeiter, die keine hohen Stücke auf die anderen Hoyles halten, mochten Danny.«
»Nicht alle, Jessica. Er war der Leiter der Personalabteilung und zuständig für Einstellungen und Kündigungen, Versicherungsfragen und Gehälter. Gegen so jemanden staut sich schnell Groll auf.«
»Danny setzte nur Huffs Vorgaben um, auch wenn die an Leibeigenschaft grenzten, und ich glaube, die Angestellten wussten das.«
Vielleicht, dachte Sayre. Aber jemand mit heimlichen Rachegelüsten würde da womöglich nicht so genau unterscheiden. »Als uns Deputy Scott fragte, wer einen Grund haben könnte, Danny umzubringen, antwortete Beck Merchant – Danny hat ihn bestimmt irgendwann erwähnt?«
»Ich kenne ihn. Jeder kennt ihn. Er ist einer der obersten Bosse in der Gießerei. Er und Chris sind ein Herz und eine Seele.«
»Sind sie so gut befreundet?«
»Sie sind praktisch unzertrennlich.«
Sayre speicherte dieses Informationshäppchen, um eventuell später darauf zurückzukommen. Beck würde also alles, was sie ihm erzählte, direkt an Chris weiterleiten.
Zu Jessica sagte sie: »Als Sheriff Harper fragte, wer einen Grund gehabt haben könnte, Danny den Tod zu wünschen, antwortete Mr. Merchant für uns, indem er das aussprach, was wohl alle dachten: Dass sich die Hoyles über die Jahre hinweg und aus den verschiedensten Gründen viele Feinde gemacht haben. Falls sich jemand an uns rächen wollte, wäre Danny ein leichtes Ziel gewesen, weil er der Argloseste und Schutzloseste war.«
Jessica dachte kurz darüber nach und sagte dann leise: »Das mag sein. Aber es ist kein schöner Gedanke, dass Danny sein Leben verloren haben soll, nur weil jemand seine Familie hasste, ohne dass er selbst etwas dafür gekonnt hätte.«
»Das finde ich auch.« Sayre zögerte kurz und fragte dann: »Haben Sie vor, Huff und Chris von Ihrer Verlobung mit Danny zu erzählen?«
»Nein. Auf keinen Fall. Meine Eltern waren eingeweiht, weil Danny meinen Vater um meine Hand gebeten hatte. Aber außer ihnen und meiner Schwester wusste niemand davon. Nicht einmal die Kollegen in unserer Schule. Wir trafen uns immer außerhalb. Selbst in der Kirche achteten wir darauf, dass wir nur mit anderen zusammen und nie zu zweit gesehen wurden.
Ich wüsste nicht, warum ich unsere Verlobung im Nachhinein verkünden sollte. Ihr Bruder und Ihr Vater würden nur mit Hohngelächter reagieren, und das könnte ich nicht ertragen. Ich will, dass meine Gedanken Danny gehören, nicht den beiden.
Ich will nur die schönsten Erinnerungen an die Zeit mit ihm behalten. Ihr Bruder und Ihr Vater würden sicherlich irgendwas sagen oder tun, was alles beschmutzt.«
»Das sehe ich leider genauso«, sagte Sayre. »Ich halte das für eine weise Entscheidung. Geben Sie den beiden keine Gelegenheit, Ihnen noch mehr Schmerz zuzufügen, als Sie jetzt schon erdulden müssen. Obwohl Huff und Chris eigentlich zu bedauern sind, weil sie nichts von Dannys Leben wissen.« Sayre fasste nach Jessicas Hand und drückte sie. »Ich bin froh, dass wir uns begegnet sind. Zu wissen, dass Danny im letzten Jahr seines Lebens glücklich war, lässt mich seinen Tod leichter ertragen.«
Sie beschloss zu gehen, damit Jessica allein am Grab sein konnte. Beim Abschied tauschten sie noch ihre Telefonnummern aus. Sayre versprach, Jessica über den Fortgang der Ermittlungen auf dem Laufenden zu halten.
Ganz im Gegensatz zu ihrer zerbrechlichen Erscheinung meinte Jessica eigensinnig: »Ich weiß nicht, zu welchem Schluss Deputy Scott kommen wird, aber ich weiß, dass Danny sich nicht umgebracht hat. Er hätte mich nicht allein zurückgelassen. Jemand hat ihn ermordet.«
Kapitel 7
Der Destiny Diner war seit Sayres letztem Besuch gründlich renoviert worden. Die chromverzierten Barhocker vor der Theke hatten türkisfarbene Vinylpolster statt der roten von einst. In den Sitzecken waren neue Resopaltische festgeschraubt worden. Auch sie waren türkis, wahrscheinlich in gewolltem Kontrast zu den knallrosa gepolsterten
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