Weißglut
war genauso irritierend wie sein Blick. »Wie kann das sein, dass ich so wütend auf dich bin und mir im nächsten Augenblick wünsche …«
»Sag es nicht.«
»Was?«
»Was auch immer du sagen wolltest. Hör auf, mit mir zu flirten. Damit kannst du mich nicht ablenken. Und ehrlich gesagt spricht es auch nicht für dich, dass du mich für so frivol hältst.«
»Frivol? Sayre, du bist so frivol wie ein verunglückter Zug.«
»Das ist auch nicht gerade ein Kompliment.«
»Ich kann bei dir einfach keinen Stich machen, wie? Wenn ich versuche, dir Komplimente zu machen, wirfst du mir vor, ich würde mit dir flirten, um dich abzulenken. Lass uns aufhören mit diesen Wortgefechten. Warum sagst du nicht offen und ehrlich, was du denkst?«
»Weil ich dir nicht traue.«
Er zog eine Braue hoch. »Also, offener hättest du kaum sein können.«
»Du könntest alles, was ich dir sage, für deine Zwecke verwenden.«
»Was sind meine Zwecke? Verrat mir das.«
»Chris mit einem Mord davonkommen zu lassen«, flüsterte sie heiser. »Zum zweiten Mal.«
Er fing ihren Blick auf, hielt ihn kurz und sagte dann: »Der Staat konnte nicht beweisen, dass Chris Gene Iverson getötet hat.«
»Und die Verteidigung konnte ebenso wenig das Gegenteil beweisen. Ich weiß von jemandem, der Danny sehr nahe stand …«
»Wer?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Aber jemand, der ihn sehr gut kannte, hat mir erzählt, dass Danny das Gefühl hatte, in einem Dilemma zu stecken. Und diese Person meint, dass es sich um ein moralisches Dilemma, eine Gewissensfrage handelte.«
»Danny hatte sich für den schmalen, steinigen Pfad entschieden. Den Zehnten zu entrichten und jedes Mal in die Kirche zu eilen, sobald die Pforten geöffnet wurden. Seit er zu der Gemeinde gestoßen war, hat er keinen Tropfen Bier mehr getrunken. Weshalb sollte er Gewissensbisse gehabt haben?«
»Dieser Person zufolge handelte es sich um einen wesentlich ernsteren Konflikt als um ein heimliches Bier. Vielleicht hatte es mit irgendetwas in der Gießerei zu tun. Etwas Illegalem. Was es auch war, es fraß ihn bei lebendigem Leib auf. Ich glaube, er wollte dieses Geheimnis loswerden, er wollte auspacken. Chris hatte Angst davor, und darum brachte er ihn um.«
Beck starrte sie ein paar Sekunden lang an, dann stand er auf und stellte sich ans Geländer. Leicht vorgebeugt, stützte er die Unterarme auf den Handlauf und starrte in die Ferne. Sayre sah dasselbe wie er – eine helle Gloriole über den Baumwipfeln, erzeugt von den Lichtern der Gießerei, die sich automatisch bei einsetzender Dämmerung einschalteten.
Der allgegenwärtige Qualm hing reglos über dem Horizont, weil sich keine Brise rührte. Er war wie ein eigenes Wesen, eine beständige Mahnung, wer über diesen Ort herrschte, und eine stille Drohung gegenüber jedem, der das Recht der Hoyles anzweifelte, über diesen Ort zu bestimmen.
Beck sagte: »Du hast es wirklich auf sie abgesehen, nicht wahr?«
»Glaubst du tatsächlich, es würde mir Spaß machen, meinen Bruder eines Mordes zu bezichtigen?«
Er richtete sich auf, drehte sich um, lehnte sich mit der Hüfte gegen das Geländer und verschränkte die Arme vor der bloßen Brust. »Undenkbar ist das nicht.«
»Für mich schon. Ich möchte mir nicht einmal vorstellen, dass Chris dazu fähig sein könnte. Aber tragischerweise tue ich es. Das Morden liegt bei uns in der Familie.«
»Wie ein vererbbarer Charakterzug?«
»Schließlich hat auch Huff einen Mann umgebracht, ohne dass man ihn dafür zur Rechenschaft gezogen hätte.«
»Aha. Erst Chris, und jetzt Huff.« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Du kannst es nicht lassen, was? Okay, lass mich aus deinen kleinlichen Rachefeldzügen gegen deine Familie raus, ja?«
Er ging zur Haustür, zog sie auf und winkte Frito ins Haus. Die Fliegentür knallte hinter ihm gegen das Holz. Sayre zögerte nur eine Sekunde, dann ging sie ihm nach.
Sie folgte dem Geklapper von Töpfen und Pfannen und fand ihn in der Küche, wo er gerade eine Flamme auf dem Gasherd entzündet hatte. Frito tanzte aufgeregt um seine Füße herum.
»Er hieß Sonnie Hallser«, sagte sie. »Er war in den Siebzigern Vorarbeiter im Werk. Und er setzte sich dafür ein, dass sich die Belegschaft gewerkschaftlich organisiert. Er und Huff waren wegen der Arbeitsbedingungen aneinandergeraten und …«
»Hör zu.« Er drehte sich um und sah sie an. »Ich kenne die ganze Geschichte. Du brauchst nicht weiterzureden, ich habe alles darüber gelesen.
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