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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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Tätigkeit unter den Männern, die ich kenne. Ich bin nicht sicher, ob das im Vergleich zu unserem Leben in Kakuma ein großer Sprung nach vorne ist. Ich vermute aber, doch, und die Schlachter ermöglichen ihren Kindern, sofern sie welche haben, ein besseres Leben. Schon seltsam, junge Sudanesen, Kinder von Immigranten, wie Amerikaner sprechen zu hören! Aber so ist es heute, im Jahr 2006. Nur wenige Dinge erscheinen mir seltsamer.
    Ich blicke zur Couch hoch und denke an Tabitha. Es ist noch nicht lange her, da saß sie mit mir auf dieser Couch, ihre Beine über meine gelegt. Wir waren so eng verschlungen, dass ich Angst hatte, zu atmen oder mich überhaupt zu bewegen. Ich vermisse sie mit einer wachsenden Inbrunst, TV-Boy, die mich erstaunt und die mich wahrscheinlich verschlingen wird. Sie hatte mich übers Wochenende besucht, und in der ganzen Zeit gingen wir kaum vor die Tür. Es war dekadent und entsprach so gar nicht unserer Erziehung. Auch sie war aus dem Flüchtlingslager in Kakuma in die Vereinigten Staaten gekommen, nach Seattle, und auf einmal saßen wir, zwei Kinder, die in jenem Camp aufgewachsen waren, viele Jahre später in Amerika auf dieser Couch in diesem Zimmer, fassungslos darüber, wie weit wir gekommen waren und was noch vor uns lag. Sie kicherte über meine dünnen Arme, führte vor, dass sie mit Daumen und Zeigefinger meinen Bizeps umfassen konnte. Doch sie hätte sonst was tun oder sagen können, nichts hätte mich gekränkt oder davon abgebracht, sie zu lieben. Sie war nach Atlanta gekommen, um mich zu besuchen, und das allein zählte. Sie saß auf meiner Couch, in dieser Wohnung, und trug ein sehr enges rosafarbenes T-Shirt, das ich ihr am Vortag in der DeKalb Mall gekauft hatte. Shopping is my therapy! , stand in silberglitzernden Buchstaben darauf, die sich von links unten nach rechts oben schwangen, mit einem fetten Stern als Punkt unter dem Ausrufungszeichen. Neben ihr zu sitzen, sie in diesem T-Shirt, das war berauschend, und ich liebte Tabitha auf eine Weise, die mir das Gefühl gab, erwachsen, endlich ein Mann geworden zu sein. Mit ihr glaubte ich, meine Kindheit, all die Not und das Elend, hinter mir lassen zu können.
    Der Junge späht jetzt in den Kühlschrank. Er wird nichts finden, was ihm schmecken könnte. Achor Achor und ich kochen auf die sudanesische Art, und mir ist noch kein Amerikaner begegnet, dem das Ergebnis geschmeckt hätte. Ich gebe zu, dass wir keine guten Köche sind. In den ersten langen Wochen hier wussten wir nicht, welche Lebensmittel ins Tiefkühlfach gehörten, welche in den Kühlschrank, welche in Schränke und Schubladen. Sicherheitshalber verstauten wir das meiste im Tiefkühlfach, auch Milch und Erdnussbutter, was sich als problematisch erwies.
    Der Junge findet etwas, das er mag, und kehrt auf seinen Platz zurück. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Junge, der jetzt mit einer Fanta in der Hand wieder vor dem Fernseher sitzt, keine Ahnung davon hat, was ich in Afrika erlebt habe. Ich erwarte es nicht von ihm, und ich mache ihm auch keinen Vorwurf daraus. Ich war sehr viel älter als er, als mir klar wurde, dass es außerhalb des Südsudan eine Welt gibt, dass Ozeane existieren. Aber ich war nicht viel älter als er, als ich begann, meine Geschichte, das, was ich erlebt hatte, zu erzählen. In den Jahren, seit wir aus unseren Dörfern nach Äthiopien gezogen waren und dann über den blutigen Fluss nach Kenia, hat es mir und anderen geholfen, unsere Geschichte zu erzählen. Genau wie damals, als wir den UN-Mitarbeitern in Kakuma unsere schlimmen Erlebnisse schilderten, nehmen wir auch heute, wenn wir die dramatische Lage im Sudan deutlich zu machen versuchen, kein Blatt vor den Mund. Seit ich in den USA bin, habe ich Kirchengemeinden, Schulklassen, Reportern und meinem Mentor Phil Mays verschiedene Kurzfassungen meiner Geschichte erzählt. Inzwischen habe ich bestimmt an die hundert Mal das Wichtigste in groben Zügen umrissen. Aber Phil wollte alles ganz genau wissen, daher habe ich ihm alles am vollständigsten geschildert. Seine Frau gab sich mit der Kurzfassung zufrieden, weil sie die Einzelheiten nicht ertragen konnte. Aber Phil und ich gingen jeden Dienstagabend nach einem Essen mit seiner Frau und den kleinen Zwillingen die Wendeltreppe hinauf und den Flur entlang in das rosafarbene Spielzimmer der Kinder, und dort erzählte ich ihm meine Geschichte in zweistündigen Sitzungen. Wenn ich weiß, dass jemand wirklich zuhört und die Person alles

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