Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
Vom Netzwerk:
Dröhnen von Auto-und Lastwagenmotoren, und mir war klar, dass wir bald wieder unterwegs sein würden. Die Regierungsarmee rückte näher, und Narus könnte bald eingenommen werden. Wir Jungen sollten unter dem Schutz des UNHCR nach Lokichoggio in Kenia marschieren. Ich wollte nicht aufstehen oder gehen oder mich überhaupt irgendwie bewegen, aber ich wurde unter dem Schutzdach hervorgezogen und musste mich in die Kolonne einreihen.
    Ich trug Verbände auf beiden Augen, die mit einer Art Augenbinde festgehalten wurde. Also hielt ich mich an den Hemdszipfeln meiner jeweiligen Vorderleute fest, während ich hinter ihnen herschlurfte. Obwohl ich wusste, dass wir bald die Grenze zu einem Land überqueren würden, in dem es keinen Krieg gab, träumte ich diesmal nicht von Schalen voller Orangen. Ich wusste, dass die Welt überall gleich war, dass es an den unterschiedlichsten Orten immer nur leichte Abwandlungen desselben Leidens gab.
    Als wir Äthiopien verließen, starben unterwegs viele. Wir waren zu Tausenden, aber es gab so viele Verwundete, so viel Blut entlang dem Weg. In dieser Zeit sah ich mehr Tote als je zuvor. Frauen, Kinder. Babys, so klein wie das Stille Baby, die nicht überlebten. Es schien sinnlos zu sein. Wenn ich auf dieses Jahr zurückblicke, sehe ich nur zusammenhanglose Bilder in falschen Farben, wie in einem unruhigen Traum. Ich weiß, dass wir in Pochalla waren, dann im nahen Golkur, drei Stunden entfernt. Dort regnete es drei Monate lang mit einer unaufhörlichen grauen Wut. In Golkur waren wieder SPLA-Soldaten und Hilfsorganisationen, und es gab Essen und schließlich auch Unterricht. Dort hörten wir von der Aufspaltung der Rebellen, davon dass ein Nuer-Kommandeur namens Riek Machar beschlossen hatte, sich loszusagen und seine eigene Rebellenbewegung zu gründen, die SPLA-Nasir, eine Gruppierung, die der SPLA eine Weile ebenso viele Probleme machte wie Khartoum. In dem daraus resultierenden Krieg im Krieg kämpften Garangs Dinka-Rebellen gegen Machars Nuer-Rebellen. Zigtausende verloren dabei ihr Leben, und die inneren Kämpfe, die mit großer Brutalität geführt wurden, ermöglichten es der Welt, die Katastrophe im Sudan mit gleichgültigem Blick zu betrachten: Der Bürgerkrieg wurde für die Außenwelt zu verwirrend, um ihn noch zu verstehen, ein Durcheinander von Stammeskonflikten ohne erkennbare Helden und Schurken.
    Den größten Teil dieses Jahres waren wir in Golkur, und eines Tages, als der Konflikt um sich griff und das Land immer tiefer im Chaos versank, kam Manute Bol, der Basketballstar aus Amerika, zu uns. Er landete in einer einmotorigen Maschine, um die Jungen zu begrüßen, die im Camp lebten. Wir hatten nur Legenden über ihn gehört, und auf einmal war er da, stieg aus dem Flugzeug, das kaum groß genug für ihn war. Man hatte uns erzählt, dass er Amerikaner geworden war, und wir staunten daher, als er herauskam und nicht weiß war. Kurz darauf wurden wir von Milizen angegriffen, die von der Regierung bezahlt wurden, und es hieß, wir würden sehr bald bombardiert werden. Daher erklärten die Ältesten uns eines Tages, es sei Zeit, Golkur endgültig zu verlassen, und das taten wir dann. Wir brachen erneut auf und marschierten nach Narus. Einige Wochen später zogen wir auf Drängen der UN nach Kenia. In Kenia, so sagte man uns, seien wir in Sicherheit, endlich in Sicherheit, denn dieses Land sei eine Demokratie, so sagten sie, ein neutrales und zivilisiertes Land, und die internationale Gemeinschaft sei dabei, dort einen Zufluchtsort für uns zu schaffen.
    Aber wir mussten uns beeilen. Wir mussten raus aus dem Sudan, denn die sudanesische Armee wusste, wo wir waren. Tagsüber konnten wir die Kampfhubschrauber sehen, und wenn sie über uns hinwegflogen, flüchteten wir unter Bäume und sprachen unsere Gebete in den Staub. Zwei Wochen lang oder noch länger gingen wir meistens nachts, und weil wir dachten, Kenia sei nicht mehr weit, und weil die Lage verzweifelt und das Land unfreundlich war, marschierten wir mit größerer Hast und weniger Erbarmen als früher. Als wir uns der Grenze näherten, verschlechterte sich das Wetter. Wir marschierten tagelang gegen den Wind an, und viele von uns waren sicher, dass die Kraft und Beständigkeit des Windes uns abwehren und zur Umkehr bewegen sollte.
    Der Geruch der Luft verriet mir, dass die Gegend trocken war. Ich zog mein Hemd aus und wickelte es mir um den Kopf, um mein Gesicht vor Staub und Wind zu schützen. Durch die

Weitere Kostenlose Bücher