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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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erzählte fortzugehen, hätte er mich fast geschlagen. Er hatte schon die Hand erhoben und hielt dann inne, die Pfeife im Mund.
    – Bist du verrückt?, sagte er.
    – Ich muss.
    Jetzt stieß er direkt vor meinem Gesicht einen schrillen Pfiff aus.
    – Der Sudan ist noch immer Kriegsgebiet, Mann! Du hast selbst gesagt, dass die Murahilin in deiner Heimat noch aktiv sind. Wie willst du denn gegen die kämpfen? Willst du ihnen was vorlesen? Ihnen ein Theaterstück schreiben? Kein Mensch auf der Welt, kein Mensch im Südsudan würde hier weg und dorthin gehen. Und ich werde persönlich verhindern, dass du das machst. Ich fessele dich mit diesen Netzen. Ich schneid dir die Füße ab.
    Ich lächelte, aber George hatte mich nicht umstimmen können. Es gab Menschen, die in den Sudan zurückkehrten. Starke junge Männer wie ich konnten das, und ich war älter und schlauer als damals bei meinem Recyclingversuch. Die Vorstellung, in Kakuma zu bleiben, war unerträglich. Alle würden in mir denjenigen sehen, der abgelehnt worden war – viertausend werden nach Amerika geholt und nur ich bin dessen unwürdig. Es würde unerträglich sein, mit diesem Stigma zu leben.
    George pfiff erneut auf seiner Pfeife, um meine Aufmerksamkeit zu wecken.
    – Hör mal. Ich wette, Wakachiai gibt dir einen Vollzeitjob, wenn du willst. Dann verdienst du zehntausend Shilling im Monat, kannst in den UN-Restaurants essen, einen von ihren Landrovern fahren. Such dir ein nettes Mädchen zum Heiraten und lebe glücklich und zufrieden hier.
    – Genau, sagte ich und lächelte.
    – Sei nicht verrückt.
    – Okay, sagte ich.
    – Sei nicht dumm.
    – Bin ich nicht, sagte ich.
    – Das hier ist dein Zuhause, sagte er.
    – In Ordnung.
    – Akzeptiere es und lass es dir hier gut gehen.
    Ich nickte, und wir brachten die neuen Netze an.
    Um halb sieben ist im Century Club richtig was los. Dann sind die Räume voll, alle Fitnessgeräte besetzt, und die Leute sind gereizt. Die Mitglieder haben sich vorgenommen zu trainieren und sind frustriert, wenn sie es nicht schaffen, den Zeitplan, den sie sich gesetzt haben, einzuhalten. Innerhalb von fünf Minuten lasse ich ein Dutzend Leute rein. Sie lächeln mich an, und manche wechseln ein paar Worte mit mir. Ein Mann mittleren Alters, der mir erzählt hat, dass er an der Highschool Geschichte unterrichtet, fragt mich, wie meine Kurse laufen. Ich lüge und sage, dass alles bestens ist.
    »Und danach geht’s aufs College?«, fragt er.
    »Ja, Sir«, sage ich.
    Die letzte Frau in diesem Schwung von Mitgliedern ist Dorsetta Lewis, eine der wenigen Afroamerikanerinnen, die hier trainieren. Sie ist um die vierzig, sehr attraktiv und selbstbewusst, obwohl sie zugleich eine schüchterne Kopfhaltung hat, immer leicht nach rechts geneigt.
    »Guten Morgen, Valentino«, sagt sie und gibt mir ihre Karte.
    »Hallo, Dorsetta«, sage ich und ziehe die Karte durchs Lesegerät. Auf dem Foto scheint sie gerade glucksend zu lachen. Ihr Mund ist weit geöffnet, alle Zähne sind zu sehen. Ich habe sie nie lachen gehört und schon oft daran gedacht, ihr versuchsweise einen Witz zu erzählen.
    »Immer schön durchhalten«, sagt sie.
    »Ich versuch’s, danke«, sage ich.
    »Prima«, sagt sie, »das hör ich gern.«
    Sie verschwindet in der Umkleide.
    In Wahrheit habe ich etwas dagegen, immer nur durchzuhalten. Ich glaube, ich bin dazu geboren, mehr zu tun als das. Beziehungsweise, ich habe überlebt, um mehr zu tun als das. Dorsetta ist verheiratet, Mutter von drei Kindern, und sie leitet ein Restaurant. Sie tut mehr als immer nur durchzuhalten. Mir gefällt die Redewendung »Immer schön durchhalten« nicht.
    Im Klub wird es für eine Weile wieder ruhiger, und instinktiv überprüfe ich meine E-Mails. Ich habe eine Nachricht von meinem Bruder Samuel.
    »Rufst du sie endlich mal an?«, fragt er. »Bild anbei.«
    Samuel ist kürzlich von Nairobi nach Khartoum gereist und hat sich dort mit meinem Vater getroffen. Sie hatten die Reise geplant, damit mein Vater Waren einkaufen konnte, um sein Geschäft in Marial Bai wiederzueröffnen. Für den Wareneinkauf hatte Phil Mays meinem Vater 5 000 Dollar geschickt. In Khartoum hörte Samuel von einer jungen unverheirateten Frau. Sie stammte aus einer wohlhabenden Familie und studierte Englisch und Wirtschaft in Khartoum. Samuel besuchte sie und dachte sofort, dass sie die Richtige für mich sei. Ich bin mir sicher, dass er sie zuerst selbst umworben hat, aber dennoch, seitdem bedrängt er mich und

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