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Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Titel: Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Theroux
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versammelten sie sich wieder auf dem Appellplatz, und vier der Wachen führten sie durch das Haupttor hinaus, ein Stück die Straße hinunter und dann in ein flaches, zweigeschossiges Haus am Rand der Siedlung, in der einige der Wachen lebten. Im Erdgeschoss gab es zwei große Räume, ein Speisesaal, wo die Gefangenen das gleiche Essen wie die Wachen bekamen – nur ein wenig kälter, weil es erst dorthin gebracht werden musste –, und daneben ein Schlafraum mit Betten, die eine Federung hatten und etwas breiter als die im Lager waren.
    Die nächsten zwei, drei Stunden durften sie essen und draußen spazieren gehen, was für sie völlig ungewohnt war. Nach einer Beförderung zur Wache war dies das Beste, worauf sie hatten hoffen können, und die meisten machten keinen Hehl aus ihrer Freude.

    Es war ungewöhnlich warm und hell für die Jahreszeit, und für einen Moment schien die Tatsache, dass die einen von uns Gefangene waren und die anderen Wachen, an Bedeutung zu verlieren. Ich fühlte etwas Hoffnung in mir aufsteigen. Ich hatte keine klare Vorstellung von der Zukunft, aber ausnahmsweise schien sie nichts zu sein, wovor man sich fürchten musste.
    Shamsudin stand allein für sich, die Augen geschlossen, das Gesicht der Sonne zugewandt, seine Schultern hoben und senkten sich mit seinem Atem. Am Rand des Waldes hatte der Sonnenschein die dünne Schneedecke unter den Bäumen geschmolzen, und dort hockte Zulfugar in einem Haufen alten Eichenlaubs und stocherte mit einem Stock nach irgendetwas in der Erde. Er blickte auf, bemerkte, dass ich ihm zusah, und winkte mich zu sich. Gerade, als ich bei ihm ankam, zog er etwas aus dem Boden.
    Es war ein warziger schwarzer Ball von der Größe einer Walnuss. Er hielt ihn mir hin.
    Ich nahm das Ding. Es war hart und fühlte sich wie eine Muskatnuss an. Zulfugar bedeutete mir, daran zu riechen. » Al-kamat «, sagte er. »Der Prophet sagt, es ist gut für die Augen.« Er lächelte, und seine Goldzähne glitzerten.
    Plötzlich ertönte ein Ruf hinter mir, und etwas schlug gegen meinen Arm. Eine der anderen Wachen
war an mir vorbeigestürmt und hatte Zulfugar umgestoßen. Nun lag er auf dem Rücken im Laub und sah ziemlich verdutzt drein. Zwei weitere Wachen hielten ihn mit Gewehren in Schach und riefen: »Was hat er da?«
    »Es ist ein Pilz«, sagte ich. »Und dem Geruch nach zu urteilen, ein verdammt guter.«
    Zulfugar nickte. »Ja … Pilz.«
    Die Wachen ließen ihn langsam aufstehen, und er strich sich die feuchten Blätter von der Hose.
    »Für dich, Makepeace«, sagte er dann und ging auf wackligen Beinen zu den anderen Gefangenen zurück.
     
    Am späten Vormittag dann brachten wir die Gefangenen wieder ins Haus und führten sie ins obere Stockwerk, wo uns Boathwaite erwartete. Wie Schulkinder setzten sie sich im Schneidersitz auf den Boden.
    »Alle das erste Mal dabei?«, fragte Boathwaite Tolya.
    Der Russe nickte.
    Boathwaite räusperte sich. »Also, hört jetzt gut zu. Wie ihr wisst, ist es ein Privileg, für die Zone ausgewählt zu werden, und einige von euch können sich bestimmt schon denken, wie die Sache läuft. Was immer ihr rausholt, wird geteilt – und zwar mit dem, der euch ausgewählt hat.«

    Einige der Wachen kicherten – offenbar mussten sie an den Pilz denken, der Zulfugar beinahe das Leben gekostet hatte –, und mir wurde langsam klar, warum viele von ihnen ein so gutes Leben führen konnten, mit Häusern außerhalb des Lagers und Familien. Wenn man genug Arbeiter in der Zone hatte, konnte man hier ein wohlhabender Mann werden. Es war wie das, was Boathwaite machte, nur in kleinerem Maßstab.
    »Aber es ist keine leichte Aufgabe«, fuhr Boathwaite fort. »Ich mache euch da nichts vor. In der Zone erwartet euch kein Knochenjob, und es bringt euch viele Vorteile, aber es ist in anderer Hinsicht gefährlich. Die Männer, die euch ausgesucht haben, haben das getan, weil sie euch für schlau genug halten, zu tun, was wir euch sagen, und nicht krank zu werden. Ihr arbeitet zehn Tage am Stück, dann könnt ihr euch hier einige Tage lang ausruhen. Je härter ihr arbeitet, desto mehr Ruhetage kriegt ihr. Und für die allerbesten Arbeiter gibt es Privilegien. Mr. Apofagato hier wird euch erklären, was genau eure Aufgabe ist.«
    Apofagato hatte pechschwarzes Haar und trug eine Brille mit dicken Gläsern, die er wie ein Schweißer um den Kopf geschnallt hatte. Ich konnte seinen Akzent nicht einordnen, aber Englisch war bestimmt nicht seine Muttersprache.
    »Zone

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