Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
verwandten Seele auf der anderen Seite der Welt begegnet, Mädchen. Alles, was geschieht, hat einen Grund. Zerstören Sie nicht eine Familie, die Sie vielleicht nie wiedersehen werden.«
» Aber hat Jim nicht ein Recht darauf, seinen Vater und seine Familie kennenzulernen? Wollen Sie nicht wissen…«
» Was? Sollen wir erfahren, was wir tief im Herzen schon wissen? Er hat eine Frau geheiratet, die die Liebe zu seiner geliebten Farm nicht teilte, aber sie hat ihm wenigstens zwei gesunde Kinder geboren. Mehr braucht ein Mann nicht. Ich sehe, wie traurig Sie sind, Sarah Gordon. Gehen Sie zurück nach Wangallon. Gehen Sie zurück und leben Sie. Und fragen Sie sich nicht für den Rest Ihres Lebens, was hätte sein können.«
Sarah saß auf der geborstenen Steinstufe vor dem Cottage, als ein vertrautes Rattern den alten grünen Pick-up ankündigte. Sarah schluckte, und ihre Hände wurden feucht, als Jim aus dem Wagen sprang.
Er trug eine dunkle Jeans und einen graugrünen Pullover, und Sarah stellte fest, dass er zwar groß war, aber den kräftigen Oberkörper und die starken Arme der Gordons hatte. Und abgesehen von den dunkelblauen Augen hätte er mit einer Pfeife im Mund und einem Hund neben sich genauso ausgesehen wie sein Urgroßvater Hamish auf der vergilbten Fotografie. Selbstbewusst kam er auf sie zu, und bei jedem Schritt dachte Sarah, dass er durch und durch ein Gordon war. Warum war ihr das nicht schon früher aufgefallen?
» Du bleibst nicht, Sarah, oder? Mutter hat es jedenfalls gesagt.«
Sarah hätte zwar lieber noch einen Tag Zeit gehabt, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, bevor sie mit ihm sprach, aber da er jetzt nun einmal da war, legte sie ihm die Hand auf den Unterarm und sagte: » Ich muss nach Hause.« An seinem Kinn zuckte ein Muskel. Sarah betrachtete das Gesicht ihres Halbbruders aufmerksam, prägte es sich für alle Zeit ein. Am liebsten hätte sie ihre Kamera genommen und jede Menge Fotos von ihm gemacht, um aller Welt verkünden zu können, dass sie nicht mehr allein war. » Wenn ich jetzt wegfahre, lasse ich meinen besten Freund zurück.« Mehr konnte sie nicht sagen. » Aber ich kann nicht hierbleiben, Jim. Mein Leben ist nicht hier.« Tränen traten ihr in die Augen.
» Gib mir eine Antwort. Liebst du dein Land wirklich so sehr, dass du es nie verlassen würdest? Das sagt Mrs Jamieson nämlich.«
Ihr Schweigen reichte ihm als Antwort aus. Er wischte sich die Hände an der Jeans ab. » Ich gehe dann besser mal.« Langsam stand er auf und reckte sich. Er neigte leicht den Kopf und wandte sich zum Gehen.
» Jim…« Sie wollte ihm noch so viel sagen, so viele Dinge mit ihm teilen, die nur er wirklich verstehen konnte. Sie waren sich ähnlich, schließlich war er ihr Halbbruder. » Weißt du, dass du ein Teil von mir bist? Du bedeutest mir so viel.« Sie rannte ihm nach und ergriff seine Hand.
Fragend zog Jim die Augenbrauen hoch. Er fand ihr Verhalten reichlich melodramatisch. Irgendetwas war seltsam hier, aber er konnte es nicht greifen. Entschlossen ließ er den Motor an. Er mochte sie, aber er würde sie sicher nicht anflehen, zu bleiben. » Wenn man jemandem begegnet, mit dem man sich versteht, Sarah, lässt man immer ein Stück von sich zurück.« Damit fuhr er los. Er blickte sich nicht mehr um.
Mrs Jamieson wartete geduldig neben ihr. Später würde sich Sarah immer an ihre Pose erinnern: die Arme verschränkt, die Taschen der geblümten Schürze voller Staublappen und Taschentücher, die gerunzelte Stirn und die grauen Haare, die so gar nicht zu dem jugendlichen Funkeln ihrer Augen passen wollten. Zwar waren sie sich nicht einig darüber, ob über Jims Herkunft geschwiegen werden sollte, aber sie waren zu einem Waffenstillstand gekommen, der es ihnen erlaubte, diesen letzten Moment in einträchtigem Schweigen zu verbringen, während sie vor dem Cottage auf Sarahs Taxi warteten.
» Eines Tages wird Ronald Gordon seinen Sohn kennenlernen, und es wird ihn freuen, dass das Band zwischen seiner Tochter und Jim nicht durch die Entfernung oder die Zeit zerstört worden ist.«
Sarah umarmte die ältere Frau. » Sagen Sie mir eines, Mrs Jamieson«, fragte sie, als sie sich aus ihren Armen löste. » Wieso können Sie über das Leben eines anderen entscheiden?«
» Warum geben Sie Ihrem jungen Mann in Australien keine Chance?«
Über Anthony hatten sie nur zweimal geredet. Einmal, als vor ein paar Tagen sein Telegramm gekommen war, und dann heute Morgen, als Mrs Jamieson nach
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