Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
beständig, ernsthaft und stark; eigentlich ein guter Bruder, Mädchen.« Mrs Jamieson forderte Sarah mit einem Blick auf, noch etwas zu essen. » Geben Sie sich mit dem Wissen zufrieden, dass es noch einen wie Sie auf der Welt gibt, Sarah Gordon. Die meisten von uns haben nie das Glück, in ihrem Leben ein solches Geschenk zu bekommen.«
» Aber Jim muss es doch erfahren. Er hat doch ein Recht darauf.«
» Zu gegebener Zeit. Wir müssen alle dazu bereit sein. Vielleicht ist der Zeitpunkt schon verstrichen, vielleicht kommt er noch einmal in der Zukunft.«
» Und mein Vater?«
Mrs Jamieson lehnte sich zurück und lächelte.
» Er kam aus dem Nichts mit Geschichten über seine Heimat und seine Familie. Auf den Ceilidhs hat er uns erzählt, wie seine Vorfahren aus den Highlands Australien erobert und sich dort eine Heimat geschaffen haben. Ich liebte ihn damals sehr. Das taten wir alle. Er war die Verkörperung aller, die gegangen waren. In seinen Augen stand die Leidenschaft von hundert Leben, und er liebte seine Familie und seine Heimat so sehr wie ich meine. Ich betete ihn an.«
» Sie?« Sarah blickte die grauhaarige Frau ungläubig an.
» Ich war nicht immer alt, Sarah«, erwiderte Mrs Jamieson und zog amüsiert die Augenbrauen hoch. » Ich dachte an Heirat, aber damals glaubte ich, Nord-Schottland nicht verlassen zu können. Wir verbrachten viele Tage miteinander, und am letzten Tag wandte ich mich von ihm ab. Er ging ohne ein Wort und kehrte erst Monate später wieder zurück. Als ich ihn sah, wusste ich sofort, dass ich jetzt auf der Stelle mitgehen würde, wenn er mich fragte.
Er blieb einen Teil des Winters über hier. Er verbrachte viel Zeit mit Lord Andrews und seinem Vater. Auch wir sahen uns, und ich wartete, aber er fragte mich nicht mehr. Ich war zu stolz und sagte nichts. Bevor er abreiste, hörte ich, dass er mit Maggie zusammen war. Da war mir klar, dass er mich nicht mehr besuchen würde, aber ich wusste auch, dass er wegen Maggie genauso wenig bleiben würde wie wegen mir. Und er würde nie mehr nach Tongue zurückkehren.
Im Sommer kam Jim zur Welt, und Maggie heiratete Robert. Ich brauchte den Jungen nicht zu sehen, um zu wissen, wer sein Vater war. Und ich hatte von den dunkelblauen Augen im Gordon-Clan gehört. Jim hat dieselben Augen wie sein Vater und…«, sie nickte Sarah zu, » …wie seine Schwester. Viele Jahre später habe ich Maggie erzählt, dass ich Ronald geschrieben und ihm von seinem Sohn erzählt habe. Seitdem hat sie nicht mehr mit mir gesprochen, bis heute Morgen. Sie war der Meinung, wir sollten das Geheimnis von Jims Herkunft bewahren. Aber es war zu spät. Ich habe es Ihrem Vater geschrieben, weil er das Recht hatte, es zu erfahren.«
» Dad hat nie etwas gesagt.«
» Haben Sie etwas anderes erwartet? Er hat erst von Jim erfahren, als Ihr Bruder schon fünf war.«
Sarahs Augen füllten sich mit Tränen, als sie daran dachte, wie ihre Familie sich langsam aufgelöst hatte.
» Es tut mir leid, Mädchen. Für Sie muss das alles hart gewesen sein.«
» Hart!« Sarah seufzte. » Meine Mutter hat mich buchstäblich ignoriert. Ihr Leben hat sich nur um meinen Bruder gedreht. Sie hat ihn vergöttert, wahrscheinlich, weil Cameron der Sohn ihres Geliebten war, während ich nur die Tochter war, die sie nie gewollt hatte.« Sarah wischte sich die Tränen von den Wangen und putzte sich die Nase.
» Es tut mir leid, Sarah.« Mrs Jamieson tätschelte Sarahs Hand.
» Nun, jetzt ist sowieso nichts mehr daran zu ändern«, erwiderte Sarah traurig und zog ihre Hand weg. » Wahrscheinlich ist es Mum einfach schwergefallen, mich zu lieben, nachdem sie herausgefunden hatte, dass Dad ihr untreu war. Ironisch, oder? Auch sie war ihm ja nicht treu gewesen, aber trotzdem hatte sie keinen Platz in ihrem Herzen für mich.« Sie fragte sich, ob ihr Vater wohl ihrem Großvater die Existenz von Jim gestanden und damit die Kluft zwischen ihnen noch vergrößert hatte. » Großvater hat bestimmt alles herausgefunden und war entsetzt.«
» Oder enttäuscht, dass der kleine Jim nicht sofort nach Australien geschickt wurde. Wissen Sie, Sarah, ich habe mir nicht überlegt, welche Auswirkungen mein Brief auf Ihre Familie haben würde. Ihr Vater glaubte wahrscheinlich, Ihre Mutter könne mit der Situation schon umgehen, sonst hätte er es ihr ja nicht erzählt. Aber man weiß eben nicht vorher, wie Menschen reagieren, deshalb ist es so wichtig, dass Sie das alles für sich behalten. Sie sind einer
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