Weites Land der Träume
Sicher freut es Sie zu hören, dass der Patient außer Lebensgefahr ist. Er hat ziemlich viel Blut verloren und sich das Bein und einige Rippen verbeult, ganz zu schweigen von seinem Gesicht. Wahrscheinlich behält er eine kleine Narbe am linken Auge zurück, aber sonst ist er bald wieder wie neu.« Alice war sichtlich erleichtert.
»Das ist ja wunderbar«, stieß sie hervor.
»Bestimmt interessiert es Sie auch, dass seine Mutter gerade angerufen hat. Und auch seine Verlobte, Katie. Sie ist doch Ihre Cousine, richtig? Sie kommen beide heute später noch vorbei.« Fraser hatte den Eindruck, dass Alice schlagartig in sich zusammenfiel.
»Aber ich dachte, du und Bluey …«, begann er, nachdem der Arzt fort war. Alice schüttelte den Kopf.
»Es hat zwischen uns nicht geklappt.« Mit einem steifen Lächeln stand Alice auf. »Sieht aus, als würde ich hier nicht mehr gebraucht. Ich rufe Onkel Ray an und sage ihm, wo ich bin.« An der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Wusstest du, dass es Ben mit seinem selbst gebastelten Funkgerät war, der dafür gesorgt hat, dass ich nicht den Verstand verloren habe. Das Gefühl, dass jemand mich hören kann …« Sie hielt inne und putzte sich die Nase. »Ich bin völlig erledigt.« Als sie den Krankenhausflur entlang zum Telefon ging, kam Tante Bea gerade aus dem Ärztezimmer in die Rezeption.
»Tante Bea!« Alice sah ihre Tante erstaunt an. »Hat Ben es dir erzählt?«
»Alice, mein liebes Kind.« Tante Bea schien um zehn Jahre gealtert.
»Was ist denn passiert?« Alice erbleichte.
»Es war ein Unfall. Ben ist auf Sherry geritten. Sie wurden beide vom Blitz getroffen und waren sofort tot. Mein liebes Kind, es tut mir ja so Leid.« Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
TEIL II
Kapitel sechzehn
Alice musterte die beiden Reagenzgläser.
»Ich glaube, wir haben den Rezeptor ausgetrickst, Alice«, meinte Professor John Dixson begeistert. »Stimmen Sie mir zu, dass das linke Reagenzglas voller ist?« Es war eher eine Feststellung als eine Frage, und der Professor klang ziemlich atemlos. Alice betrachtete die klare Flüssigkeit. Es war zwar nur ein winziger Unterschied, aber dennoch vorhanden.
»Phantastisch«, sagte Alice, ebenso aufgeregt wie er. Professor Dixson war Chefarzt an einem führenden Londoner Krankenhaus und erforschte die Zuckerkrankheit. Dabei verfolgte er vor allem zwei Ziele. Erstens wollte er eine schluckbare Form von Insulin entwickeln, und zweitens plante er die Einrichtung von Kliniken in Großbritannien und Irland, wo die Patienten lernen sollten, mit ihrer Krankheit zu leben. Durch Experimente mit Mäusen und Meerschweinchen hatte Professor Dixson ein kleines Molekül dazu gebracht, mit einem Rezeptor zusammenzuarbeiten und ihn so zu täuschen, dass er insulinähnliche Resultate hervorbrachte.
Es handelte sich um den zweiten von drei bedeutenden und wissenschaftlich interessanten Schritten seiner Forschungsarbeit, an deren Ende eine Testreihe an Tieren und letztlich auch an Menschen stehen sollte. Wenn alles gut ging, dann könnte mit diesem Molekül, das dieselbe Wirkung wie Insulin hervorrief, der für Diabeteskranke so wichtige Blutzuckerspiegel besser kontrolliert werden. Alice arbeitete inzwischen seit achtzehn Monaten als Laborassistentin bei Professor Dixson und hatte seine Bemühungen verfolgt und seinen Erläuterungen gelauscht. Sie verstand, wie gewaltig der heutige Durchbruch war und teilte seinen Jubel.
Als sie wie jeden Morgen die benutzten Reagenzgläser und Geräte wegräumte, hörte sie, wie er zufrieden vor sich hin summend die Ergebnisse noch einmal durchsah. Auf seinem Schreibtisch türmte sich ein unordentlicher Haufen von Papieren, abgerissenen Zetteln und voll gekritzelten Briefumschlägen, auf denen er alles Mögliche notiert hatte. Alice sollte sie abtippen und anschließend abheften.
Es war ein kühler englischer Märztag im Jahr 1963. Alice konnte kaum fassen, wie schnell die Zeit vergangen war. Im September nach Bens Tod war sie in London gelandet, emotional aufgewühlt und unfähig, im Leben einen Sinn zu sehen. Bea hatte darauf bestanden, sie zu begleiten, und war so lange geblieben, bis Alice sich in ihrem kleinen Einzimmerapartment in einem vierstöckigen Haus in Earls Court eingerichtet hatte, wo noch sechs weitere Australierinnen lebten.
Gemeinsam hatten Bea und Alice alles neu eingerichtet, die Wände gestrichen und das durchgesessene, staubige Sofa durch zwei neue Sessel mit Chintzbezügen ersetzt. Bea hatte
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