Weites Land der Träume
dem zitternden Don die zerknitterten Überreste einer alten Fußballkarte zu, sodass sie neben den anderen auf dem Boden landete. Dann trat er mit einem selbstzufriedenen Grinsen sämtliche Karten in den Staub.
Alice konnte ihren Zorn nicht mehr zügeln. Alle Angst war vergessen, als sie auf den großen Jungen zustürmte. »Warum bist du so gemein!«, schrie sie entrüstet. Sie stieß seinen Fuß weg und bückte sich, um die Karten aufzuheben.
Die Zwillinge schnappten nach Luft und Dons Gesicht drückte Bewunderung aus, als sie ihrem Cousin die Karten zurückgab. Grunz erstarrte, als hätte man ihn geschlagen. Sein Fuß schwebte dicht neben Alices Kopf, sodass sie durch ein Loch im Leder eine schmutzige Zehe mit einem gebrochenen Nagel sehen konnte. Dunk und Flos standen daneben, unterdrückten ihr hämisches Kichern und sahen neugierig zu. Angespanntes Schweigen herrschte, als Grunz und Alice einander musterten. Dann richtete sich Alice ganz langsam auf. Grunz stampfte mit dem Fuß auf und versperrte ihr den Weg. Sein Schniefen verwandelte sich in ein zorniges Schnauben. Er starrte sie wütend an und wollte nach ihr schlagen. Seine Augen waren nur Schlitze in seinem fettig glänzenden Gesicht. Alice begann zu zittern. Da sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, starrte sie zurück, obwohl ihr das Herz bis zum Halse klopfte. Sie dachte nicht daran, dass er niemals wagen würde, sie anzurühren, um nicht den Spott der anderen Kinder zu riskieren. Stattdessen wischte er sich nur mit dem Handrücken über die Nase. »Angsthase«, höhnte er. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging davon.
Alice bekam weiche Knie, und am liebsten hätte sie vor Erleichterung geweint. Zitternd stand sie auf und vergewisserte sich, dass Grunz auch wirklich nirgendwo zu sehen war.
»Wir haben gewonnen«, flüsterte sie Ben auf dem Heimweg zu.
Später an diesem Nachmittag geriet Alice zufällig mitten in einen Streit zwischen Onkel Ray und Tante Bea. Erschrocken über den zornigen Tonfall ihres Onkels, flüchtete sie sich rasch in den Garten.
»Warum gestehst du dir nicht ein, dass dein Bruder spielsüchtig ist?«, brüllte Ray.
»Was soll das heißen?« Die Antwort ihrer Tante fiel zwar freundlich aus, doch Alice spürte, wie sie angesichts der harten Worte ihres Onkels errötete.
»Bei ihm ist alles nur leeres Gerede. Jetzt ist er schon seit zwei Wochen hier, ohne dass wir auch nur einen Penny zu Gesicht gekriegt hätten. Wir können von Glück reden, wenn uns dieser Versager noch vor Weihnachten einen Zuschuss zur Haushaltskasse zahlt.«
»Oh, Ray«, seufzte Bea. »Gib ihm Zeit. Du hast doch auch deine Schwächen. Ich bin sicher, dass er das Geld auftreiben wird.« Alices Herz begann zu klopfen, als sie den plötzlich ängstlichen Unterton ihrer Tante bemerkte.
»Wir sprechen hier nicht über meine Schwächen. Seit er hier ist, sitzt er jeden Tag mit dem Buchmacher im Pub zusammen.« Alice hörte, wie ihr Onkel gereizt mit dem Pfeifenstiel gegen seine Zähne stieß. »Und heute Nachmittag wollte er sich zwanzig Pfund von mir borgen. So viel zu seinen Versprechungen.«
Alice floh zu den Ziegen. Sie konnte kaum etwas sehen, weil ihr heiße Tränen in die Augen traten. Am nächsten Tag verkündete Thomas, er werde nun fortgehen, um Arbeit zu suchen.
»Pass auf deinen Bruder auf, Alice«, sagte er fröhlich und fasste sie unters Kinn. »Bis zu deinem Geburtstag bin ich zurück.«
Trauer malte sich in Alices blauen Augen. Nun war der gefürchtete Tag schließlich doch gekommen. Sie klammerte sich an ihren Vater und an Ben, drückte beide fest an sich und versuchte, die Leere zu ignorieren, die sich in ihr ausbreitete. »Ich verspreche, euch anzurufen und euch viele Postkarten zu schicken. Und wenn ich wieder da bin, planen wir dein Schloss.«
Bei diesen Worten erhellte sich Alices Miene kurz, und es gelang ihr vorübergehend, das warnende Flüstern ihrer inneren Stimme zu verdrängen.
Alice winkte dem Wagen ihres Vaters nach, bis er in der Ferne verschwunden war, dann verwandelte sich der Schmerz in ihrer Brust in einen festen Bleiklumpen. Vier Monate waren eine Ewigkeit, und außerdem war das Problem mit Grunz und der offiziellen Anerkennung noch immer nicht aus der Welt. Doch ihr Dad hatte versprochen, zu ihrem Geburtstag im August zurück zu sein. Alice weigerte sich, an etwas anderes zu glauben als daran, dass ihr Vater ganz sicher wiederkommen würde.
Kapitel vier
Nachdem Thomas fort war, kehrte allmählich Ruhe
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