Weites Land der Träume
zurück. Dann wandte sie sich hilfesuchend an den Polizisten. Unterdessen stupste Sherry sie zärtlich an.
»Ich fürchte, er hat Recht, Alice«, sagte der Polizist nickend.
Alices Augen schienen vor Bestürzung noch tiefer in ihre Höhlen zu sinken.
»Ich erledige das«, schimpfte Onkel Ray. »Alice, du gehst jetzt sofort ins Haus, sonst setzt es was mit dem Stock.«
»Aber, aber, ich glaube nicht, dass das nötig sein wird«, unterbrach Vater O’Reilly, der herbeigeeilt kam. »Guten Tag, Hal Tyson. Hier ist doch nicht etwa etwas Ungesetzliches geschehen?« Alice und Ray sahen ihn verdattert an. Hals zorniger Blick wurde von Argwohn abgelöst.
»Kennen Sie diesen Mann, Herr Pfarrer?«, erkundigte sich Ray.
»Wir haben hin und wieder ein Tässchen Tee zusammen getrunken«, entgegnete der Priester gelassen.
»Ich bin aus geschäftlichen Gründen hier, Herr Pfarrer«, meinte Hal mit derselben Gemütsruhe. »Aus geschäftlichen Gründen und wegen dieses Pferdes.« Er wies mit dem Kopf auf Sherry.
Onkel Ray rieb sich verlegen die Hände. »Hören Sie, Hal. Wie ich schon gesagt habe, sollten Sie das Pferd einfach mitnehmen, wenn mein Schwager einen Fehler gemacht hat. Alice kommt schon darüber hinweg.« Alice fragte sich, wie lange sie ihre Tränen noch unterdrücken konnte.
»Also, wem gehört nun das Pferd, Hal?«, wollte Vater O’Reilly unvermittelt wissen. Auf einmal klang er ganz und gar nicht mehr freundlich. Er legte den Arm um die zitternde Alice.
»Mir, Herr Pfarrer, und ich versichere Ihnen, dass ich mir nichts habe zuschulden kommen lassen«, entgegnete Hal, doch der forschende Blick des Priesters machte ihn sichtlich verlegen.
»Sprechen Sie weiter.«
»Offenbar war einer meiner Stallknechte nicht allzu glücklich darüber, dass ich ihm den Laufpass gegeben habe. Also hat er Flying Start gestohlen und sie in einer Wette verloren. Mein neuer Verwalter erzählte mir, er habe das Pferd hier in der Gegend gesehen. Um sicherzugehen, habe ich die Polizei verständigt, und man sagte mir, Ray sei der neue Besitzer.«
»Aber woher sind Sie so sicher, dass es sich bei Sherry um das vermisste Pferd handelt?«, erkundigte sich Alice, immer noch bebend.
Hal lachte auf und ließ den Blick hilfesuchend über die Anwesenden gleiten. »Jetzt wird es aber albern, meine Herren. Diesem Mädchen bin ich keine Rechenschaft schuldig.«
»Er hat Recht, Alice. Hör auf, fremde Leute zu belästigen.« Doch Onkel Ray klang nicht mehr so überzeugt wie zuvor. Alice blickte ihn mit hängenden Schultern schicksalsergeben an. Auf einmal konnte Hal ihrem Blick nicht mehr standhalten.
»Hören Sie«, begann er über ihren Kopf hinweg. »Ich weiß, das alles ist ein schreckliches Missverständnis. Aber wie ich schon erklärt habe, ist das Pferd eine Stange Geld wert und eine gute Zuchtstute. Ich kann sie nicht einfach verschenken.« Verlegen sah er Ray an. »Aber ich möchte dem kleinen Mädchen auch nicht das Herz brechen. Also, alter Junge, machen Sie mir ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann.«
»Dir ist doch klar, dass wir so viel Geld nicht haben, Ray.«
Alle wirbelten herum, als plötzlich Tante Bea hinter ihnen stand. Ihre Augen waren zwar vom Weinen gerötet, doch ihr Tonfall klang entschlossen. »Alice, mein Schatz, du musst das Pferd aufgeben.« Tante Beas Miene war mindestens ebenso bekümmert wie die von Alice. »Ich wünschte, ich könnte etwas daran ändern, doch es geht nicht. Es wird nicht besser, wenn du es hinauszögerst. Also verabschiede dich von dem Pferd, und dann unternehmen wir beide etwas Schönes zusammen.«
Alice wusste, dass alle Hoffnung verloren war. »Schon gut, Tante Bea«, erwiderte sie deshalb bemüht gefasst. »Ich gehe in die Schule.«
»Vielleicht ist das sogar das Beste, mein Kind.«
Diese Aussichtslosigkeit und Endgültigkeit waren zu viel für Alice. Sie drehte sich weg, damit die Männer die Tränen nicht sahen, die ihr die Wangen hinunterliefen. Dann ging sie auf Sherry zu. Zum letzten Mal schlang sie die Arme um ihren warmen goldbraunen Hals und presste das Gesicht dagegen. Sherry, die wie immer Alices Stimmung erspürte, beugte den Kopf zu ihr hinunter wie zu einem Fohlen und knabberte an ihrem Haar. Alice erschien es, als sei ihr Leben eine endlose Reihe von Abschieden von dem, was sie liebte. Sherry scharrte mit den Hinterbeinen und wieherte leise.
»Oh, Sherry, ich kann nicht ohne dich sein«, flüsterte sie. Tante Bea legte Alice die Hand auf die Schulter und zog sie
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